Schrift alter Leute

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Philipp R.
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Schrift alter Leute

Beitrag von Philipp R. »

Mir ist bei älteren Leuten öfters eine Art Handschrift/Schriftart aufgefallen, die ich so nicht einordnen kann. Es ist definitiv kein Kurrent oder Sütterlin aber auch nicht wirklich so die normale Schrift.
Also die Schrift hat wenig Schnörkel und Rundungen, sondern ist eher eckig und spitz. Meine Großmutter (Jahrgang 1922) schrieb auch so und ich hatte als Kind früher immer Probleme ihre Schrift zu entziffern. Sah irgendwie aus, wie eine Mischung aus Kurrent und lateinischer? Schrift. M, n und u waren eher zackig/eckig geschrieben wie bei der Kurrent aber die ganz anders geschriebenen Buchstaben waren halt "normal".

Eine Vermutung von mir wäre jetzt, dass das die Generation ist, die in der Schule zwar noch mit Sütterlin schreiben gelernt haben, aber dann nach dem Schrifterlass von 1941 oder so halt nicht mehr Sütterlin/Kurrent schreiben durften, diese zackige Schreibweise bei den m, n und u aber halt zu sehr in dem Schreibfluss verankert waren.

Meine Großmutter konnte auch Druckschrift schreiben, also Buchstabe für Buchstabe und sie nannte das dann Blockschrift.
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Penman AK
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Penman AK »

Philipp R. hat geschrieben:
04.05.2023 7:12

Eine Vermutung von mir wäre jetzt, dass das die Generation ist, die in der Schule zwar noch mit Sütterlin schreiben gelernt haben, aber dann nach dem Schrifterlass von 1941 oder so halt nicht mehr Sütterlin/Kurrent schreiben durften, diese zackige Schreibweise bei den m, n und u aber halt zu sehr in dem Schreibfluss verankert waren.
Das wäre auch meine Vermutung.
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Penman AK
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Penman AK »

Hier noch ein interessanter Artikel dazu:

https://www.welt.de/geschichte/article1 ... Armee.html
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JulieParadise
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von JulieParadise »

Philipp R. hat geschrieben:
04.05.2023 7:12
[...] nicht wirklich so die normale Schrift [...]
Blockschrift
Nur als Einwurf: Was wäre denn eine normale Schrift? In Deutschland etwa gab und gibt es regional unterschiedliche Grundschriftarten für die verbundene Schreibschrift, die die Schulkinder lernen, da hätten wir dann mal locker 5-10 Varianten allein für die Schulausgangsschriften heute, von denen, die man im englischen Sprachraum antrifft und den für uns eher ungewöhnlichen Formen wie dem englischen/französischen kleinen r (das keinen geraden Stamm hat, sondern quasi in der Luft beginnt), mal abgesehen. Das sah sicher früher in den verschiedenen Landesteilen nicht anders aus, zumal das deutsche Sprachgebiet ja im Osten bis in die heutige Ukraine reichte (Sudetenland, Österreich-Ungarn) und nordöstlich bis hoch nach Kaliningrad/Königsberg.

Blockschrift ist immer noch eine übliche Bezeichnung für (lateinische) Druckschrift.
Matthias MUC
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Matthias MUC »

"normale" Schrift im Sinne von: einigermaßen eindeutig eine der jeweils gelehrten/gelernten üblichen Schriften zzgl. höchstens geringe individuelle Abweichungen. Darüber hinaus ginge z.B. eben, ganz klar total individuelle Schreibweisen von Buchstaben, oder das Mischen von Schreibweisen aus wenig verwandten Schriften.

lG Matthias

PS.: Bei der neuen Schulschrift, die die lat. Ausgangsschrift abgelöst hatte (und auf die z.B. mein Eheweiberl als Lehrerin auf Dienstpflicht umlernen musste) ist ja das gefühlte Mischen wenig verwandter Schriften leider amtlich "normal" geworden - diese superhässlichen druckschriftartig klobigen, Großbuchstaben zwischen den immer noch flüssig schreibbaren kleinen.... dieses Elend ist aber ganz anderes Thema und wurde hier schon vielfach ad nauseam durchdiskutiert....
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TomSch
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von TomSch »

Philipp,

das einfachste wär', du postest einmal ein entsprechendes Schriftbeispiel, z.B. aus einem Brief deiner Oma. :)
Dann haben wir was Handfestes und brauchen nicht so sehr im Nebel der Vorstellungskraft herumzuwandeln. :idea:

Sonnige Grüße, Thomas
Sei nicht so; sei anders.
Philipp R.
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Philipp R. »

Normale Schrift ist für mich eine Schrift, die auf der lateinischen oder deutschen Ausgangsschrift basiert oder besser gesagt auf der Basis auf der ich lesen und schreiben gelernt habe. Weil die Schrift meiner Oma sah für mich halt fremd/unnormal oder besser gesagt ungewohnt aus. Mir ist bewusst, dass jeder im Laufe der Zeit eine individuelle Handschrift entwickelt aber man erkennt meistens, dass diese Leute auf lateinischer Ausgangsschrift gelernt haben.

Bzgl englisches kleines r:
Ich habe mir beim Wiedererlernen einer ordentlichen Handschrift auch diese Schreibweise des kleinen r angewöhnt, habe aber immer noch Probleme, es an Buchstaben anzuschließen, die an der Mittellinie enden.

Ein Schriftbeispiel meiner Oma habe ich leider nicht zur Hand. Die Frau ist aber auch schon vor über 20 Jahren verstorben.
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Penman AK
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Penman AK »

Philipp R. hat geschrieben:
04.05.2023 11:57


Bzgl englisches kleines r:
Ich habe mir beim Wiedererlernen einer ordentlichen Handschrift auch diese Schreibweise des kleinen r angewöhnt,
Kann jemand freundlicherweise mal ein Bild davon anhängen? Ich kann mir das mit dem „freischwebenden r“ nicht so richtig vorstellen 🧐
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JulieParadise
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von JulieParadise »

Fix hingekliert und aus der Hüfte geschossen, aber der Unterschied wird ja deutlich (Schulausgangsschrift DDR/Berlin, 1987 ;) ):

20230504_123208.jpg
20230504_123208.jpg (387.58 KiB) 2705 mal betrachtet
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Strombomboli
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Strombomboli »

Penman AK hat geschrieben:
04.05.2023 7:38
Das wäre auch meine Vermutung.
Meine Großmutter, Jahrgang 1923, hat auch so geschrieben und es genau so erkärt, Sütterlin oder was in der Schule gelernt, später unvollständig auf lateinische Schrift umgestellt. Vielleicht darum hat sie Briefe immer mit der Schreibmaschine geschrieben, was ich als Kind großartig fand, weil das die einzigen Erwachsenenbriefe waren, die ich leicht lesen konnte. Auf Briefen hat immer mein Großvater die Adresse geschrieben, der hatte die Umstellung besser hingekriegt.
Iris

Mein Avatar ist ein Gemälde von Ilja Maschkow (1881-1944): Selbstporträt; 1911, das in der neuen Tretjakow-Galerie (am Krimskij Wal) in Moskau hängt, wo ich es fotografiert habe.
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JulieParadise
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von JulieParadise »

Noch zum Thema "Umstellung": Ist es nicht auch so ein Treppenwitz der Geschichte, dass jetzt diese unter den Nazis als "Judenlettern" verbotenen Schriftarten (hierbei vor allem die Fraktur, der Begriff wurde als Beschimpfung aber ebenso auf das Sütterlin angewendet) als "Schaftstiefelfraktur" vor allem von nur nebenher mit Schriften befassten Menschen sehr stark mit den Nationalsozialisten zusammengebracht wird?

Wobei die Sache nicht ganz so einfach ist, siehe als Ausgangspunkt diese beiden Artikel: www.fontblog.de/fraktur-ist-auch-eine-nazi-schrift und www.typografie.info/3/artikel.htm/wisse ... iften-r479.

Einen kurzen Überblick zu Fragen rund um den Normschrifterlass, der wie oben angesprochen die Umstellung der Schrift in der Schule erforderte und so die uneinheitlich anmutende Schrift der Großmutter verursacht haben könnte, findet sich auf der Wikipedia-Seite zum Antiqua-Fraktur-Streit: de.wikipedia.org/wiki/Antiqua-Fraktur-Streit#Nationalsozialismus
Robin

Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Robin »

Ich hoffe, dass meine Nachfahren die Lateinische Ausgangsschrift (LA) gut lesen können. Sie wurde 1953 in Deutschland eingeführt (vgl. Schulportal) und ist die Handschrift, die ich erlernt habe. Ich finde sie im Hinblick auf Kurrent und Sütterlin wesentlich einfacher und schnörkelloser. Warum die LA jedoch noch weiter „vereinfacht“ wurde, ist mir ein Rätsel.
Philipp R.
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Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Philipp R. »

Ich habe auch die LA gelernt, aber bereits sehr früh angefangen, die hier und da zu vereinfachen. Z.B. durch Weglassen der kleinen Kringel am Anfang vom großen E, C und G, großes H und die X, x schreibe ich auch nicht wie ein Autobahnkreuz.

Also von daher sehe ich eine Vereinfachung der LA nicht unbedingt schlecht. Was aber gar nicht geht ist diese Variante, bei der die Buchstaben an der Mittellinie verbunden werden bzw an ihr hängen anstatt auf der Grundlinie zu stehen.
Thom

Re: Schrift alter Leute

Beitrag von Thom »

Na ja, man sollte nicht denken, dass die zu Kurrentzeiten nicht auch lateinische Buchstaben geschrieben haben. Und das nicht nur bei Eigennamen, wenn man außerhalb des deutschen Sprachraumes korresponieren wollte, konnte das ja sonst keiner lesen. Vermutlich wurde deshalb der Normschrifterlass 1941 gemacht, auch wenn es da offiziell ein paar hirnrissige Begründungen gab.

V.G.
Thomas
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