Es ist der 01. Dezember, und damit geht heute das erste Türchen in unserem Adventskalender auf. Aber nachdem der goldene Oktober mit zweistelligen Temperaturen gefühlt erst seit gestern vorbei ist, mag ich noch nicht so recht in Weihnachtsstimmung kommen. Deshalb will ich mit euch gedanklich erstmal einen Monat in die Zukunft und ins ferne Japan reisen, bevor in den nächsten Tagen hier die europäische Weihnacht beginnt.
Japan ist buddhistisch und shintoistisch geprägt, ersten Kontakt mit dem Christentum gab es im Jahr 1549 durch den Missionar Francisco de Xavier, der mit Unterstützung der katholischen Kirche und portugiesischer und spanischer Händler das so bezeichnete christliche Jahrhundert einläutete. Insbesondere Handelsvorteile und die Versorgung mit den vormals unbekannten Schusswaffen bewegte einige Herrscher dazu, sich zum Christentum zu bekennen – und teilweise die gesamte Gefolgschaft gleich mit. So gab es zu Spitzenzeiten bis zu 300000 Christen, gleichzeitig kam es aber zu einem Verbot des christlichen Glaubens im Jahr 1614. Wer als Christ erkannt wurde (und nicht bereit war, dem Glauben abzuschwören), wurde verbrannt oder gekreuzigt. Auf diese Weise wurden in Nagasaki bis 1639 bis zu 4000 Christen hingerichtet. Diese Christenverfolgung endete erst 1873. Heutzutage leben ca. 1% Christen verschiedener Glaubensrichtungen in Japan. Trotzdem ist Weihnachten in Japan allgemein bekannt und wird am 24. Dezember auf gewisse Art auch von der nicht-christlichen Bevölkerung gefeiert.
Zum einen ist Weihnachten als Geschenkanlass für (insbesondere kleine) Kinder fest etabliert. Jedes Kind kennt den Weihnachtsmann, und viele freuen sich darauf, von Santa-san (Herrn Santa) ein kleines Geschenk gebracht zu bekommen. In manchen Familien gibt es dafür dann auch einen (Plastik-) Weihnachtsbaum mit Deko, auch die Innenstädte und Geschäfte werden oft weihnachtlich dekoriert.
Zum anderen ist Weihnachten ein festes Datum an dem sich (insbesondere junge) Paare für ein Date verabreden, was dafür sorgt dass Restaurants und Bars von Pärchen überrannt werden.
Wer Single ist, geht stattdessen mit Freunden aus, oder versucht das zu ändern und besucht ein Gōkon, ein Gruppendate.
Bei all diesen “Weihnachtsfeiern” gibt es als typisches Dessert einen Christmas Cake. Damit ist nicht Stollen oder Lebkuchen gemeint, sondern Erdbeer-Sahnetorte.
Von der Problematik sündhaft teurer Erdbeeren im Winter einmal abgesehen, kann ich das sehr empfehlen! Hier ein fantastisches Exemplar das ich vor vielen Jahren zubereitet habe, nach diesem Rezept. Christmas Cake, genau so schlecht fotografiert, wie er gut geschmeckt hat
Zusammengefasst könnte man sagen, dass in Japan das kommerzielle, moderne Weihnachten genauso existiert wie hier, aber das traditionelle, besinnliche, familiäre Weihnachten eher nicht.
Dafür gibt es aber in Japan das Neujahrsfest, und das hat verblüffende Ähnlichkeit zu Weihnachten hier.
Das Neujahrsfest wird in Japan seit Jahrhunderten gefeiert, und seit dem Jahr 1873 (Einführung des Gregorianischen Kalenders) liegt es auf dem 01. bis 03. Januar.
So wie bei uns über Weihnachten, sind in Japan an den drei Tagen alle Geschäfte geschlossen.
Für die Neujahrstage gibt es ganz bestimme typische Gerichte die man isst. Während Deutschland in die zwei Lager “Kartoffelsalat und Würstchen” (niemand soll in der Küche stehen) und “Weihnachtsgans” (zum Feste nur das Beste) geteilt ist, hat man in Japan eine Lösung für beides.
Früher galt, dass während der Neujahrstage der Herd nicht benutzt werden darf, daher wurden in den letzten Tagen des alten Jahres die Osechi-Ryori vorbereitet. Dabei handelt es sich meist um saure oder eher süße Speisen, die auch ohne Kühlschrank haltbar sind. Alle Gerichte haben einen Bezug zum neuen Jahr und stehen beispielsweise für Glück, Gesundheit oder Kinderreichtum.
Mittlerweile wird auch an den Neujahrstagen gekocht, aber die kunstvoll angerichteten Osechi gibt es auch heute noch. Osechi-Ryori, gemeinfreies Bild von der deutschen Wikipedia
Die freien Neujahrstage werden im urlaubsarmen Japan dafür genutzt, dass die gesamte Familie zusammenkommt. Dabei gibt es eine Reihe von Spielen, die traditionell während dieser Zeit gespielt werden.
Eines dieser Spiele ist Karuta. Karuta ist ein Lehnwort, mit dem ganz allgemein Kartenspiele japanischer Machart bezeichnet werden. Die Karten sind dicker als europäische Kartenspiele und existieren in verschiedenen Varianten. Eine ist z.B. das Hanafuda, das seit 1889 von der Firma Nintendo hergestellt wird. Hanafuda-Karten, moderne Variante von Nintendo, die Karten sind ca. 1mm dick
Spricht man von “Karuta spielen”, ist aber meist die Variante Uta-Garuta (Gedichtkarten) gemeint, typischerweise basierend auf den Ogura Hyakunin Isshu (100 Gedichte von Ogura).
Das Spiel funktioniert so, dass es zu jedem der 100 Gedichte eine Lesekarte gibt auf der das vollständige Gedicht steht, sowie eine Greifkarte auf der nur der hintere Teil des Gedichts steht. Karuta-Kartenspiel, bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass die beiden letzten (also ganz linken) Spalten der Lesekarten (unten) mit den zugehörigen Greifkarten (oben) übereinstimmen
Spielt man zu zweit (Variante Kyōgi-Karuta), werden 50 der Greifkarten auf dem Spielfeld ausgelegt, das sich zwischen den gegenüberliegenden Spielern befindet. Traditionell spielt man Karuta auf Tatami-Boden (Bambusmatte), der auch zur Ausrichtung der Karten genutzt wird. Jeder Spieler darf 25 der Karten auf dem Spielfeld auf der eigenen Seite in eigener Sortierung anordnen. Karuta-Greifkarten, zum Spiel ausgelegt
Eine dritte Person agiert als Vorleser, und liest eine zufällige der 100 Lesekarten vor. Die Spieler müssen dann während das Gedicht vorgelesen wird
- erkennen um welches Gedicht es sich handelt
- wissen welches die zugehörige Greifkarte ist
- wissen ob sich die zugehörige Greifkarte irgendwo auf dem Spielfeld befindet
- und die passende Karte greifen
Hier ist ein kurzes Video in dem dies eindrucksvoll zu sehen ist, und auch die melodische Vorlesung der Gedichte gut zu hören ist.
Für leichte Unterhaltung, die diese Spielweise näherbringt, empfehle ich die Anime-Serie Chihayafuru.
Bei Familien zu Neujahr ist allerdings eher die Variante Chirashidori beliebt, bei der (bis auf den Vorleser) eine beliebige Anzahl Personen jeder-gegen-jeden gemeinsam spielen kann. Dazu werden alle 100 Karten zufällig auf dem Boden verteilt, und die Spieler stellen sich im Kreis um die Karten. Das Spielprinzip Vorlesen/Karte finden ist sonst gleich, Gewinner ist wer am Ende die meisten der 100 Karten aufgesammelt hat.