Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

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Will
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Will » 03.02.2019 23:54

Frodo hat geschrieben:
03.02.2019 22:21
Hi Füllerfreunde
...
Ich war gerade nochmal im Keller und habe noch ein paar Kartons weitere alte Gewindeschneider gefunden, also irgendwann ist man dann doch aufs maschinelle schneiden übergegangen. In jedem der Kästchen sind 4 numerierte Strehler, die wohl in eine Kluppe eingepasst wurden. Jeweils 2 der Werkzeuge haben leicht versetzte Schneiden, möglicherweise konnte damit ein 2- gängiges gewinde geschnitten werden. Es kann bei diesem Werkzeug sicher vom Begriff "schneiden" gesprochen werden da der Anstellwinkel des Werkzeuges kleiner als 90 Grad ist. Mit dem älteren Handstrehler wird mehrfach vorsichtig flacher an das drehende Werkstück angesetzt, dieses wird als "schaben" bezeichnet. Tatsächlich stehen auf den Schachteln Bezeichnungen im Metrischen sowie im Zollsystem!
Gewinde schneiden 2.jpg

Auf dem 3. Bild sieht man schließlich Gewindebohrer, wie man sie heute kennt und Außengewindeschneider mit kronenartigen Schneidköpfen. Die Lücken werden wohl notwendig gewesen sein, Dass auch größere Volumina an Spänen herausgeschleudert werden konnten.
E.E. Koenig war der Hersteller der "Mercedes" Schreibgeräte.
Gewinde schneiden 3.jpg

Schönen Gruss und schnittig in die neue Woche
Hey Frodo,

was Du so alles im Keller hast ...

ist doch mehr als nur außergewöhnlich und sehr interessant!

Herzliche Nachtgrüße

Gerd
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tinte&feder
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von tinte&feder » 04.02.2019 22:10

Frodo hat geschrieben:
03.02.2019 22:21
Ich hab noch einmal ein Großfoto von den Handstrehlern zum Gewindeschneiden gemacht.
Toll, danke fürs zeigen!

Was ich mich frage, unter anderem weil ich gerade tatsächlich ein 4-gängiges Gewinde mit einem Handstrehler geschnitten habe - allerdings mit Unterstützung der Drehmaschine für den richtigen Vorschub (0,75 Handstrehler + Steigung 3) - wie bekomme ich ein gleichmäßiges Ende der einzelnen Gewindegänge hin ohne "Rattenschwanz" wie im Foto - nachträglich umsetzen und das letzte Stück der 3 kürzeren Gewindegänge nachschneiden?

Viele Grüße
Kristof

4-gaengiges_Gewinde.jpg
4-gaengiges_Gewinde.jpg (159.05 KiB) 4551 mal betrachtet

Frodo
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Frodo » 05.02.2019 6:53

Hi Kristof
Der Durchmesser des Korpus muss noch verringert werden dass allein das Gewinde vorsteht. Also einfach abdrehen bis ins Gewinde selbst hinein, dann ist der Rattenschwanz weg. Der Anfang der 4 Gewindegänge verteilt sich dann wieder auf 4 Seiten. Der Anfang des Gewindes kann auch etwas angefast werden.
Außengewinde am Ende eines Füllerschafts sind nicht nur bei den historischen Füllern aber recht selten. Es gibt sie, wenn ich mich recht erinnere, bei den Staedtler- Mars Füllern. Charakteristisch ist auch das kleine Außengewinde am Ende des Schafts auf dem Drehknopf bei den den alten Kaweco Sichergeitsfüllern, welches eine Breite von vielleicht nur 2 mm hat und trotzdem eine feste Verbindung darstellt.
Im Innengewinde der Kappe oder Blindkappe oder im Inneren das Schafts muss dann allerdings eine Barriere sein, da sonst das Gewinde am Ende wieder herausfällt. Hier kann in der Kappe beim ausbohren eine kleine Stufe stehenbleiben auf die der Schaft aufsetzt und abschließt oder man lässt das Innengewinde einfach flach auslaufen. Füllernutzer, die sonst nur Klickverschlüsse kennengelernt haben neigen bei dieser Bauart allerdings häufig dazu, das Gewinde scheinbar "dicht" reinzudrehen zu wollen und die Kappe irreversibel einzupressen oder den Schaft gleich aufzusprengen.
Gruss, F

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Zollinger
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Zollinger » 05.02.2019 11:12

Frodo hat geschrieben:
05.02.2019 6:53

Im Innengewinde der Kappe oder Blindkappe oder im Inneren das Schafts muss dann allerdings eine Barriere sein, da sonst das Gewinde am Ende wieder herausfällt. Hier kann in der Kappe beim ausbohren eine kleine Stufe stehenbleiben auf die der Schaft aufsetzt und abschließt oder man lässt das Innengewinde einfach flach auslaufen. Füllernutzer, die sonst nur Klickverschlüsse kennengelernt haben neigen bei dieser Bauart allerdings häufig dazu, das Gewinde scheinbar "dicht" reinzudrehen zu wollen und die Kappe irreversibel einzupressen oder den Schaft gleich aufzusprengen.
Ist es nicht bei den meisten historischen Füllern so, dass die Barriere durch den Anschlag des Griffstücks gegen die Innenkappe gebildet wird?

Das ist ein interessanter Thread, der eine noch interessantere Wendung nimmt! Danke dafür.

Z.

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Wurmbunt
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Wurmbunt » 05.02.2019 22:08

Hallo Freundinnen und Freunde des gepflegten Gewindes,
schön, dass der Faden so rege Beteiligung erfährt und nicht zu einem Monolog meinerseits verkommt!
Das Thema ist ja doch recht speziell...
Zu der Gewindethematik möchte ich gerne auch noch ein paar Anregungen wiedergegeben.
tinte&feder hat geschrieben:
04.02.2019 22:10

Was ich mich frage, unter anderem weil ich gerade tatsächlich ein 4-gängiges Gewinde mit einem Handstrehler geschnitten habe - allerdings mit Unterstützung der Drehmaschine für den richtigen Vorschub (0,75 Handstrehler + Steigung 3) - wie bekomme ich ein gleichmäßiges Ende der einzelnen Gewindegänge hin ohne "Rattenschwanz" wie im Foto - nachträglich umsetzen und das letzte Stück der 3 kürzeren Gewindegänge nachschneiden?

Viele Grüße
Kristof
Das mit dem Umsetzen des Strehlers funktioniert übrigens auch.
Du schneidest mit dem ersten Zahn des Werkzeuges bis zur
, vorher festgelegten, Gewindelänge. Danach den Strehler zurückziehen, Vorschub ausrücken, und das Spannfutter entsprechend verdrehen (90 Grad bei Viergängig, 120 Grad bei Dreigang usw.) oder mit dem Oberschlitten entsprechend der Gewindesteigung zustellen.
Jetzt liegt der erste Zahn des Werkzeuges in der Rille, in der vorher der zweite Zahn geschnitten hat. Nun wieder mit Vorschub bis zum angepeilten Gewindeende schneiden.
Das ganze so oft wiederholen, bis alle Gewindegänge auf der selben höhe am Schaft enden.
Ist etwas mühsam - geht aber.
Schon vor geraumer Zeit habe ich auf dem Flansch, der das Spannfutter der Drehbank hält, Winkelmarkierungen angebracht - ursprünglich und radial angeordnete Bohrungen exakt zu markieren - das kommt mir bei so was natürlich sehr zu gute ;) .
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Winkelmarkierungen und ein einfacher Magnetzeiger
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Da das ganze aber wirklich mühsam und zeitaufwändig ist, wurde der Schaft - wie von Frodo beschreiben - wohl meist einfach abgedreht.
Hier mal das Schaftgewinde des Böhler Gold in groß.
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Böhler mit " erhabenem" Gewinde
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Deutlich sieht man hier, dass der Schaft nach dem Gewinde im Durchmesser reduziert ist.
Da mich auch selbst interessiert, auf welche Weise die Altmeister produziert haben, wühlte ich mich mal durch meine alten Sachen (nur Celluloid und Ebonit kein Spritzguss es geht ja um's Gewindeschneiden) und habe nur ein Realstück gefunden, bei dem auf oben beschriebene Weise - also nicht erhaben - gearbeitet wurde. Gut, das heißt jetzt nicht unbedingt viel, schließlich habe ich nicht so viele Füller wie andere hier... :roll:
Trotzdem ist der Großteil so gemacht, dass das Gewinde etwas hervorsteht.
15493930880821.jpg
Celluloidschaft mit nicht erhabenem Gewinde
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Der oben abgebildete Schaft gehört zu einem Burnham Druckknopffüller aus den 30er Jahren der eine kleine Messinghülse bekommt, um das Gewinde von innen zu verstärken.
Nun möchte ich aber für die Bauer und Bastler(-innen) noch eine Möglichkeit zur Debatte stellen.
Es hat mitunter deutliche Vorteile das Gewinde nicht direkt auf den Schaft zu schneiden!
Wenn es nicht auf Originalität ankommt, ist es mit " Hausmitteln" einfacher, eine entsprechende Hülse mit einem mehrgängigen Gewinde zu versehen und diese dann in entsprechender Länge abzustechen.
Gerade bei Innengewinden die z. B. erst 15mm nach Kappenende beginnen, sieht man kaum noch was man tut.
Hier schummle ich gerne mit einer Hülse.
15493984869820.jpg
Innengewindehülse für eine Kappe dreigängig
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Der kleine Bund an der Ebonithuelse dient mit einem entsprechenden Absatz in der Kappe der richtigen Positionierung.
Aber auch als Aussengewinde macht die Lösung durchaus Sinn.
Bei einem Spritzguss Eversharp Skyline, den ich als Ersatzteilträger gekauft habe, schlug wieder mein weiches Herz zu, und ich baue ihn mir quasi neu - nur größer natürlich, damit ich ihn auch vernünftig halten kann :) .
An dem Projekt habe ich übrigens gearbeitet, als so überraschend der Böhler auf Interesse stieß...
Den neugebauten Skylineschaft habe ich mit Perlrochenleder überzogen - dieses Material ist zwar wunderschön, aber leider völlig ungeeignet, um ein Gewinde zu schneiden.
15493997494840.jpg
Gewindehülse auf dem Skyline
15493997494840.jpg (202.21 KiB) 4446 mal betrachtet
Lösung auch hier eine Hülse (dreigängiges Gewinde).
Auch Messing bietet sich natürlich für Gewinde an.
15493998491630.jpg
Dreigang Messinggewinde ( vergoldet)
15493998491630.jpg (418.77 KiB) 4446 mal betrachtet
Bei Messing arbeite ich allerdings nicht mit Strehlern, da ich erhöhten Verschleiß befürchte, sondern mit Hartmetall Wendeschneidplatten - jeden Gewindegang einzelnen... :?
P.s.
Das ätzen des ersten Overlays hat halbwegs funktioniert.
Berichte bald.
Grüße Andi

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Wurmbunt
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Wurmbunt » 09.02.2019 0:51

Hallo,
kleines Update zum Overlay.
Nach längeren Bügel- und Ätzorgien habe ich das Metallband für die Blindkappe fertig.
15490598135214.jpg
Messingfolie im Ätzbad
15490598135214.jpg (211.81 KiB) 4378 mal betrachtet
Hier schwimmt die Messingfolie in Eisendreichlorid.
Die Konturen waren leider etwas unsauber, so dass ich mit Schmirgelpapier versäubern musste.
Da ich noch nie ein Overlay gemacht habe, befürchtete ich, dass durch das Verlöten ein Bereich Weichgeglüht wird, während der Rest des Bleches federhart bleibt. So hätte sich das Overlay nicht gleichmäßig um den Konus der Blindkappe gelegt.
Also lieber alles von vorneherein weichglühen!
15490597719602.jpg
Eine regelbare Heißluftpistole ist ein Segen
15490597719602.jpg (153.57 KiB) 4378 mal betrachtet
Weichglühen mit der Heißluftpistole.
15490597604171.jpg
Weichglühen des Bleches
15490597604171.jpg (233.99 KiB) 4378 mal betrachtet
Jetzt nur noch die Banderole verlöten, und hoffen, dass alles passt.
15490597464800.jpg
Overlay verlötet - erste Anprobe
15490597464800.jpg (213.26 KiB) 4378 mal betrachtet
Nach etwas Anpassen, Zurechtschneiden und Schleifen, habe ich das Overlay mit einer Mischung (50:50) aus Kolofonium und Schellack (gelöst in Spiritus) aufgeklebt.
Hier das Ergebnis.
15496689825700.jpg
Blindkappe mit Overlay
15496689825700.jpg (284.1 KiB) 4378 mal betrachtet
Und noch einmal zusammen mit dem Böhler.
15496691431471.jpg
Blindkappe mit dem Füller
15496691431471.jpg (489.96 KiB) 4378 mal betrachtet
So - Overlay klebt - fehlt nur noch die Vergoldung...
Hmm ich weiß nur nicht ob mir das auch gefällt :roll: ???
Vielleicht noch mal darüber schlafen...
Grüße Andi

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Wurmbunt
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Wurmbunt » 14.02.2019 22:35

Hallo,
kleines Update zum Böhler.
Das Overlay hat mir nicht gefallen - also Fön gepackt und weg damit.
Nun habe ich mich auf die Kappe gestürzt, um das Projekt endlich abzuschließen.
15501780135363.jpg
Teile für die Kappe
15501780135363.jpg (287.12 KiB) 4295 mal betrachtet
Ein paar Einzelteile - jetzt nur noch zusammenleimen.
15501779921022.jpg
Einzelteile der Kappe
15501779921022.jpg (261.36 KiB) 4295 mal betrachtet
Das Messingstück links soll Füllerseitig die Kappe abschließen, und verhindern, dass sie reisst - oben der schwarze Celluloidstopfen ist der Rest der Originalkappe mit dem Innengewinde.
Unten schließlich die neue Ebonithuelse, die alles zusammen hält.
War schon so gut wie fertig, als mir der Böhler herunter gefallen ist :cry: .
Das ganze sieht nun so aus.
15501779445190.jpg
Schaftbruch
15501779445190.jpg (198.35 KiB) 4295 mal betrachtet
Ja was soll ich sagen - das vorläufige Ende einer beginnenden Freundschaft.
Jetzt habe ich einen Haufen Einzelteile.
15501779671321.jpg
Alles wieder auseinander
15501779671321.jpg (332.94 KiB) 4295 mal betrachtet
Ganz oben die neue Kappe - noch nicht fertig, aber man sieht schon wie's werden sollte...
Grüße Andi

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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Will » 15.02.2019 8:46

Mensch Andi,

das tut mir, nach all der Arbeit, wirklich leid. Denkst Du über einen Reperaturversuch nach?

Mitfühlende Grüße

Gerd
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von desas » 15.02.2019 16:14

Das ist wirklich tragisch.

Ich denke, Andi wird den reparieren.
Und das wird klappen.
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Wurmbunt » 18.02.2019 0:45

Hallo ihr Eisernen,
die ihr immer noch an die Auferstehung des Böhler glaubt!
Nach den Posts von Desas und Gerd war es natürlich Ehrensache das Projekt weiter zu verfolgen. Wenn's nach mir gegangen wäre, hätte die Degussa- Goldfeder ein neues Zuhause in einem anderen Halter bekommen...
Auch ein Grund Penexchange-Mitglied zu sein - ein gewisser Gruppenzwang ( im positiven Sinne), der einen dazu bringt, das eigene Tun zu reflektieren und in sich zu gehen...
Aufgeben und die Feder umzustecken wäre doch ein lauwarmer Kompromiss :roll: .
Wäre ich wahrscheinlich auf Dauer selbst nicht zufrieden damit!
Also alte Substanz erhalten, wo es geht.
Ich habe mich daran gemacht den Schaft zu reparieren.
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Acrylrohr in den passenden Abmessungen
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Das neue Tintenfenster wird aus Plexiglas bestehen. Acrylglas ist leicht zu beschaffen, transparent und halbwegs vernünftig zu bearbeiten. Für klares Celluloid habe ich leider keine Quelle.
Als erstes habe ich mich daran gemacht, das alte Celluloidsichtfenster zu entfernen.
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Abdrehen des alten Sichtfensters
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Wenn mit der Hand, vorsichtig gedreht wird, bekommt man einen gewissen Eindruck von der Materialbeschaffenheit.
Ist das Drehgut eher zäh, entsteht ein sogenannter Fliessspan das abgetrennte Material legt sich als Kneul um das Werkstück, und muss manuell entfernt werden.
Das ist normalerweise in der Produktion unerwünscht - abreissende Späne sorgen für eine rauhe Oberfläche, und Fliessspaene aus Metallen, bergern auch ein gewisses Verletzungsrisiko.
Das Gegenteil sind kurzspanende Werkstoffe (z.B. Automatenstahl) hier bröseln die Späne regelrecht ab - gute Oberflächen und kein Spansalat, der die Arbeit unterbricht!
Kurzspanende Werkstoffe verfügen über eher geringe Dehnungswerte, und reagieren makroskopisch deshalb eher spröde.
Zurück zum Füller - beim abdrehen des, wohl ehemals klaren, Sichtfensters bröselte der Span, wobei sich die Charakteristik abrupt änderte, sobald das schwarze Material bearbeitet wurde.
Es war aber beides Celluloid - mit entsprechendem Wick Vaporub Geruch!
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Abdrehen des alten Sichtfensters
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Auch dass der Schaft, ohne Anbauteile, beim Herunterfallen so schnell und glatt gebrochen ist, spricht für eine Versproedung des Materials - vielleicht eine Vorform des Füllerkrebses?
End vom Lied - ich hatte kein Vertrauen mehr zu dem klaren Material - weg damit!
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Transparentes Celluloid wird komplett entfernt
15504409317616.jpg (279.94 KiB) 4152 mal betrachtet
Sektionsseitig ist das klare Celluloid schon weg, jetzt noch den Schaft ausbohren.
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Stufenbohrer zum ausbohren des durchsichtigen Celluloidrohres
15504409759359.jpg (287.1 KiB) 4152 mal betrachtet
Nach gefühlvollem ausbohren, kam dann der Rest des alten Rohres mit heraus.
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Das alte Celluloidrohr kommt heraus
15504409621698.jpg (286.09 KiB) 4152 mal betrachtet
So jetzt muss noch das neue Tintenfenster angepasst werden.
Was sagt ihr bisher? - Ist doch Licht am Horizont oder?
Bis bald!
Grüße Andi

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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Will » 18.02.2019 6:09

Mensch Andi,

Du machst das echt?! Das ist doch gleich nochmal eine andere Hausnummer, wie eine Kappe nachdrehen. Das Teil muss ja wieder richtig dicht werden. Hätte ich jetzt wirklich nicht angenommen, dass Du das durchziehst. Meinen Respekt!

Was die Versprödung betrifft, muss es noch nicht direkt Füllerkrebs, kann aber ein Vorstadium gewesen sein. Klarweißes Celluloid wird immer als erstes betroffen, da dieses offensichtlich nicht so beständig ist wie eingefärbtes. Entsprechend wird dieses auch früher mürbe als der Rest, da dieses auf UV-Strahlung schneller reagiert und die damit einhergehenden Reaktionen des Materials früher einsetzen.

Wenn Du das Nachdrehen von Sichtfenstern im Griff hast, wird das spätestens in 20 Jahren ein sehr einträgliches Geschäft.

Außer bei den einfachen und damit auch in der Regel billigen Orgea, Versuche ich inzwischen den Ankauf von Celluloidfüllern mit klarweißen Sichtfenstern zu vermeiden, dass ich an meiner Sammlung noch lange Freude habe, ohne den zeitigen Verlust befürchten zu müssen. Betroffen sind auch recht teure Hersteller, wie z. B. Soennecken bis hin zu modernen Omas aus den 80er/90er Jahren. Die Vorstellung, dass einfach alles wegbröseln kann, ist absoluter Horror für mich. Deshalb werden meine Füllhalter auch dunkel gelagert und liegen nicht offen in einer Vitrine.

Ich halte Dir die Daumen, dass Du bald mit dem alten Böhler schreiben kannst.

Frühe Grüße in die neue Woche

Gerd
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von stift » 18.02.2019 8:02

Hallo
Bei OMAS weiß ich zufällig warum das so ist,die hatten damals mit dem Celluloid Probleme da sie es nicht lange genug gelagert hatten.
Waren auch Problem mit dem Schrumpfen der Füller,aber scheinbar habe sie es später doch wieder in den Griff bekommen.

Nur Füllerkrebs kenne ich nicht und habe ich noch nie gesehen in den letzten 20 Jahren,oder ich habe nicht darauf geachtet.Zumindest die Füller die ich hatte ob Montblanc ,Soennecken ,Kaweco usw konnte ich so etwas nicht feststellen.Andererseits kaufe ich nur Füller die
in Ordnung sind,da bin ich sehr heikel.
Beim Kauf immer das Sichtfenster gegen das Licht oder am Flohmarkt in die Sonne halten,da sehe ich schon was los ist.

Liebe Grüße
Harald
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von Zollinger » 18.02.2019 9:03

Ja, dieses Problem ist bekannt. Ich denke auch, dass die Empfindlichkeit des Zelluloids mit der Durchsichtigkeit steigt. Z.B. die alten Pelikan 100-Schäfte, die zerbröseln manchmal bereits beim Anschauen. Vor allem im Bereich der Gewinde wo das Material ohnehin schon geschwächt ist. Ganz schlimme Fälle habe ich auch bei Soennecken 111 und 222 gesehen. Da sind ganze Griffstücke oder Drehknöpfe "kristallisiert" und dann weggebröselt.
Ich bin mir aber nicht sicher ob die UV-Strahlung den Haupteinfluss dabei hat. Bei den Pelikan 100 z.B. gehen die Schäfte auch unter der Binde kaputt. Für die sichere Lagerung helfen tiefere Temperaturen und gute Durchlüftung wegen der austretenden sauren Gase.
Z.

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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von desas » 18.02.2019 9:12

Andi, Andi. Respekt.

Du wirst Aufträge bekommen in Zukunft, da schließe ich mich Gerds Meinung an.
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Re: Böhler Gold - oder warum ein weiches Herz eine Menge Arbeit bedeutet

Beitrag von HeKe2 » 18.02.2019 9:19

Füllerkrebs habe ich das erste Mal in dem Thread über den Faber-Castell Wertfüller gesehen. Weil mich das interessiert hat, habe ich mal ein Wenig nachgelesen, was das ist. Als Ergebnis kam heraus:

Zelluloid ist ein Produkt das im Wesentlichen aus Schießbaumwolle und Campher (Kampfer) hergestellt wird. Daher auch dieser eukalyptusartige Geruch. Schießbaumwolle ist chemisch Nitrozellulose, was eine verhältnismäßig reaktive sprich instabile Verbindung ist. Der Campher ist gleichzeitig der Weichmacher in dem fertigen Zelluloid, hat aber die Eigenschaft, sich aus dieser Verbindung wieder zu verflüchtigen, was wiederum der Grund dafür ist, dass Zelluloid so nach ihm riecht.

Das Gemeine ist:
Verflüchtigt sich der Campher, trennt sich das Zelluloid in seine Bestandteile. Es wird zuerst spröde, später zersetzt sich die Zellulose wobei Nitroverbindungen (Salpetersäure) frei werden, die wiederum andere Materialien (unedle Metalle) angreifen, aber auch die eigene Zersetzung des Zelluloids katalysieren. Dabei verfärbt sich das Zelluloid bernsteinfarben durch die nitrosen Verbindungen, was an hellen Stellen als Erstes auffällt.

Soweit das, was ich gefunden habe und mir so zusammenreimen konnte. Das Problem scheint besonders stark bei älteren Filmen aus Zelluloid aufzutreten. Die müssen alle rechtzeitig umkopiert werden, sonst sind sie unrettbar verloren. Aber nochwas ist wichtig:
In dem oben genannten Thread wird empfohlen, betroffene Füller von anderen, zumindest aus Zelluloid zu separieren. Nach dem gesagten macht das Sinn. Offensichtlich sind Füller aus Zelluloid empfindlich gegenüber chemischen Angriffen von außen. Umso stärker, je weniger chemisch rein das Zelluloid ist. Ein entsprechender chemischer Angriff können aber auch die salpertersäurehaltigen Gase aus einem sich zersetzenden Zelluloidfüller in der Nähe sein. Auch Möbelstücke, die irgendwelche Stoffe ausgasen, wurden als mögliche Ursache genannt. So gesehen ist dieser Füllerkrebs in gewisser Weise "ansteckend".

Ich fand das interessant. Wer es schon wusste, überlese es. Wer es genauer weiß, sage es. Mir war es neu, dass es sowas gibt. Komischerweise wusste ich, dass es derartige Probleme mit alten Filmen gibt, wäre aber nie auf die Idee gekommen, das auf Füller zu übertragen. Da denkt man dann von zwölf bis Mittag. ;)
Beste Grüße
Hermann

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