Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

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1altersack
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von 1altersack » 21.01.2019 22:44

JulieParadise hat geschrieben:
18.11.2018 23:48
(Kleines Geständnis: In der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit kritzle ich gern in mein Notizbuch, meist in sehr schräger und enger Kurrentschrift [3:1:3]. Wenn dann mal jemand drauf schielt, freue ich mich diebisch, dass garantiert so gut wie nix davon entzifferbar ist.)
HiHi 8-)
Schöne Grüße aus Havelberg, Michael



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Thom

Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 21.01.2019 22:55

1altersack! :) Julie macht chronische Tiefstapelei, sie kann auch eine mandäische Zauberrolle lesen
(ich bin noch nichtmal sicher, ob das ne Rolle ist).

V.G.
Thomas

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JulieParadise
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von JulieParadise » 22.01.2019 0:37

Genau so sehen die aus. Super blöd zu fotografieren oder rückzuvergrößern von Mikrofilmen/fiches, weil man immer tierisch aufpassen muss, dass genügend Übergang da ist. (Da fällt mir ein, die Mikrofilm-Rollen hiervon liegen noch irgendwo rum.)
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Thom

Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 22.01.2019 1:27

Deshalb sage ich immer, passt beim Fotografieren von Zauberrollen auf, vor allem wenn's mandäische sind. Kurrentlesen habe ich auch von Mikrofilm gelernt, das war ein Schreiben aus dem Nachlasse Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg über das Durchsichtigmachen von Papier.

V.G.
Thomas

1altersack
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von 1altersack » 23.01.2019 11:07

Ach schade, der Link zur Staatsbibliothek funktioniert bei mir nicht.
Vermutlich, weil ich katholisch bin ... LOL

Andererseits war wohl auch der Heilige Augustinus früher selbst Manichäer ;)

obwohl: https://www.katholisch.de/aktuelles/akt ... -manichaer
Schöne Grüße aus Havelberg, Michael



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Thom

Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 23.01.2019 11:47

Dafür kenne ich das Urteil der 9. Kammer des Europäischen Gerichtshofs zum Hotlinking. :)

Mandäische Zauberrolle (jedenfalls der Anfang):
Bild
(Quelle: https://ngcs.staatsbibliothek-berlin.de ... 0&rotate=0 )

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JulieParadise
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von JulieParadise » 23.01.2019 22:07

Ich glaube, die Mandäer sind eher unser Privatvergnügen, lieber Tom ;) , machen wir doch lieber mit Kurrent weiter.

Sag mal, hast Du auch so schöne Beispiele für Kurrent? Mich interessieren Ligaturen und wie mit doppelten Buchstaben umgegangen wird. Den Dopplungsstrich etwa kenne ich eigentlich nur von Buchstaben wie m und n.

PS: Leider habe ich kein Foto gemacht, aber mein ehemaliger Professor hat mir neulich ein Buch aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende gezeigt, gesetzt in Fraktur, wo im Titel -- ich weiß nicht mehr ob auf dem Buchdeckel oder dem Innentitel -- "Islam" mit Rund-S gesetzt wurde. Also als Konsequenz aus dem Silbenende, nehme ich an. Im Buch wechselt es dann zwischen Rund-S und Lang-S. Ist das Schlampigkeit? Ich kenne die Regel nur so, dass das S in Wortfugen oder am Ende in runder Form auftaucht. Erbitte Erleuchtung! :D
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Wolle_F
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Wolle_F » 23.01.2019 22:55

JulieParadise hat geschrieben:
23.01.2019 22:07
[...]
PS: Leider habe ich kein Foto gemacht, aber mein ehemaliger Professor hat mir neulich ein Buch aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende gezeigt, gesetzt in Fraktur, wo im Titel -- ich weiß nicht mehr ob auf dem Buchdeckel oder dem Innentitel -- "Islam" mit Rund-S gesetzt wurde. Also als Konsequenz aus dem Silbenende, nehme ich an. Im Buch wechselt es dann zwischen Rund-S und Lang-S. Ist das Schlampigkeit? Ich kenne die Regel nur so, dass das S in Wortfugen oder am Ende in runder Form auftaucht. Erbitte Erleuchtung! :D
Schau mal hier (vor allem den letzten Absatz): https://www.typografie.info/3/faq.htm/w ... rsatz-r12/

Das Wort "Islam" stellt eine Ausnahme von gängigen Regeln dar und die Setzer dadurch vor Probleme.

Glückauf
Wolfgang
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von pejole » 23.01.2019 22:57

Die s-Regeln, etwas umfangreich geworden, dafür aber wohl vollständig.

Gruß, Martin


Das Rund-s steht

als Wortschluß am Ende des Wortes:

das Haus, des Landes, der Kies, der Preis

am Ende der Silbe:

dasselbe, Eispalast, Häuschen, Glastür, deshalb, boshaftdasselbe, Eispalast, Häuschen, Glastür, deshalb, boshaft

als Fugen-s in Zusammensetzungen vor dem anschließend folgenden sonst
selbständigen Teilwort:

Donnerstag, Geburtstag, lostreten, Haustür, deswegenDonnerstag, Geburtstag, lostreten, Haustür, deswegen

natürlich auch dann, wenn das folgende Teilwort mit einem s beginnt:

Aussicht, Wirtsstube, dasselbe, Bimsstein

als Fugen-s auch dann, wenn nach dem s eine mit einem Konsonanten beginnende Nachsilbe (z.B. -lein, -chen, -mus, -bar) folgt:

Häuslein, Mäuschen, Wachstum, nachweisbar, wohlweislich, Realismus, WeisheitHäuslein, Mäuschen, Wachstum, nachweisbar, wohlweislich, Realismus, WeisheitHäuslein, Mäuschen, Wachstum, nachweisbar, wohlweislich, Realismus, Weisheit

In den Fremdwortvorsilben dis und des, ferner vor k, m, n, w, d steht das Rund-s:

brüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresdenbrüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresdenbrüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresden



Das Lang-s steht

am Anfang des Wortes:

so, sind, sieben

am Anfang und im Inneren von Silben:

sausen, wünschen, Wunsch, erstaunen, einst

am Schluß einer Silbe, wenn kein Wortschluß innerhalb einer Zusammensetzung aus sonst selbständigen Teilwörtern vorliegt:

Gasse, Wasser, Bissen, fassen, müssen, Zeugnisse

In Lautverbindungen (sp, st, sch):

Knospe, fast, löschen

Ausnahmen finden sich in Namen, Fremd- und seltenen Wörtern. So steht zum Beispiel in den Fremdwortvorsilben dis und des, ferner vor k, m, n, w, d das Rund-s:

brüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresdenbrüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresdenbrüsk, grotesk, Schleswig, Distribution, Mesner, Desinfektion, Oswald, Dresden



Das Doppel-s steht

wenn ein kurzer Selbstlaut vorangeht und ein Selbstlaut folgt:

Adresse, müssen, Tasse, vergessen

wenn ein folgendes e durch ein Auslassungszeichen ersetzt wird:

ich lass′

ABER - Befehlsform:

Laß

in gebeugten Formen der Wörter auf -as, -is, -nis, -us

des Zeugnisses, des Busses

in Fremdwörtern immer bei Lautangleichung:

Assistent

Beachte den Wechsel zwischen Doppel-s und ß in Formen ein und desselben Zeitwortes:

essen - sie aßen reißen - sie rissen



Das ß steht

am Ende des Wortes:

muß, naß, Biß, Haß

am Ende der Silbe:

häßlich, unfaßbar, vergeßlich

vor einem Konsonanten:

laßt, haßt, wißt, verpaßt, verläßlich

nach langem Vokal:

grüßen, Straße, fließen, schließen

nach Doppellaut:

heißen, außen, scheußlich

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JulieParadise
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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von JulieParadise » 24.01.2019 0:47

Also doch Schlampigkeit. Der Wortkern ist nämlich s-l-m, ein Verbalsubstantiv von aslama, sich ergeben, abgeleitet aus der Grundbedeutung "Frieden".

Aber vielen Dank für die kleine :) Auffrischung in Sachen Lang- und Rund-S!
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Thom

Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 24.01.2019 3:31

Jules, ich hatte beim Studium einen Russischdozenten, der war Dolmetscher beim RGW. Von dem stammt der denkwürdige Satz:
"Deutsch hat 3000 Regeln und zu jeder 1000 Ausnahmen."
Dopplungsstrich fällt mir jetzt auch nur der Mörike ein, aber Ligaturen sind doch hier wie Sand am Meer.

Bild

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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von JulieParadise » 24.01.2019 8:37

Thom hat geschrieben:
24.01.2019 3:31
Dopplungsstrich fällt mir jetzt auch nur der Mörike ein, aber Ligaturen sind doch hier wie Sand am Meer.
Ich weiß doch! ;) Aber Du gräbst immer so schöne Scans/Bilder aus, da dachte ich mir: "Fragste mal frech." Danke sehr!
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Thom

Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 24.01.2019 12:09

Du willst nur nicht, dass ich hinter Deine Zaubertricks komme. :)

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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von Thom » 24.01.2019 19:50

Den Dopplungsstrich haben sie scheinbar auch bei lateinischen Buchstaben gemacht. Keine Ahnung, warum nicht auch bei "Innern".

Lautdopplung 1.JPG
Lautdopplung 1.JPG (445.48 KiB) 3838 mal betrachtet
Lautdopplung 2.JPG
Lautdopplung 2.JPG (585.33 KiB) 3838 mal betrachtet

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Re: Kurrent, Sütterlin und Offenbacher

Beitrag von olyfan » 25.01.2019 15:11

Da habt Ihr ja einen mehr als interessanten Faden aufgemacht. Es ist wirklich bedauernswert, dass diese Schrift weder nach dem Krieg noch heute in der Schule vermittelt wurde rsp. wird. Trotzdem war ich z. B. als damaliger Lehrling (1959) gezwungen mich mit dieser Schrift intensiv auseinanderzusetzen. Vieles wurde eben noch handschriftlich gemacht. Von älteren Kollegen habe ich mir diese Schreibendann "übersetzen" lassen. Nach relativ kurzer Zeit war ich tatsächlich in der Lage wirklich alles zu lesen (und auch zu verstehen :D ).
Dabei kam es teilweise zu seltsamen Kuriositäten. Ein Wort wurde z. B. mit Kurrent begonnen und endete dann in in "Normalschrift".
Irgendwann wurden dann diese Kurrentschreiben immer weniger mit der Folge, dass ich heute größte Schwierigkeiten habe so etwas zu entziffern. Manchmal klappt es gut und dann ist wieder "hängen im Schacht".
Deshalb kaufte ich mir vor ein paar Jahren eine CD die verschiedene Fraktur- und die Kurrentschrift beinhaltete. Damit konnte ich dann manches (aber nicht alles) übersetzen.
Allerdings ist das Handling am Rechner gewöhnungsbedürftig. So wird z. B. aus sc automatisch = sch. Die anderen Tastenkominationen wie s und t = st, s und k = sk muss ich mir erst wieder zusammensuchen. Auch die Benutzung des s in der Wortmitte, am Ende oder (wie ich glaube auch) am Satzende bedarf intensiver Übung und Umstellung. Dass dann noch die automatische Rechtschreibkorrektur läuft ist nun nicht gerade hilfreich.
Ich überlege daher jetzt, ob ich nicht auch damit anfange mir die Kurrentschrift (es ist niemals zu spät :evil: ) anzueignen. Allerdings will ich es mit einem Federhalter nicht versuchen. Wenn, dann mit einem geeigneten Kolbenfüller. Mal schauen was mir da so über den Weg läuft.
Da fällt mir gerade ein. Soweit ich mich erinnern kann, ist Steno aus der Kurrentschrift sozusagen entwickelt worden.
Ich werde die (hoffentlich) weitere Diskussion zu diesem Thema mit großem Interesse verfolgen.

LG
Jürgen

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