Prioritäten im Grundschullehrplan

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glucydur
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von glucydur »

Idiocracy ist ein schöner Begriff für diesen Umstand. Vor allem, wenn man sieht, welchen Stellenwert Bildung und Ausbildung in einigen asiatischen Ländern genießt. Das soll keine Verteidigung des Drills sein, der in südkoreanischen, chinesischen oder japanischen Schulen sogar in der Elementarstufe herrscht. Das verhindert vor allem Kreativität. Aber es ist schon erstaunlich, wenn ich im Weltspiegel Schüler an weiterführenden Schulen dort sehe, die Deutschland als Kulturnation und Land der Dichter und Denker sehen und dagegen viele Abiturienten bei uns Schwierigkeiten haben, richtig zu schreiben und zu rechnen. Da kommt es ja noch nicht einmal darauf an, ob sie schön schreiben, sondern "nur" dass es richtig ist.

VG

Alexander
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Tenryu
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Tenryu »

Ob der Drill wirklich die Kreativität abtötet, wage ich sogar zu bezweifeln. Gerade in Japanischen Schulen ist es üblich, neben dem Unterricht noch Zeit mit frei wählbaren schulischen Aktivitäten zu verbringen. Neben Sport sind das gerade und vor allem kulturelle Beschäftigungen.
Und wer sich die Szene der Manga und Anime anschaut, sieht, daß es auch unter den jungen Leuten ein großes künstlerisches Potential gibt.
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YETI
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von YETI »

Tenryu hat geschrieben:Ob der Drill wirklich die Kreativität abtötet, wage ich sogar zu bezweifeln.
Ganz meine Meinung. Kunst kommt von Können :wink: , also ist auch dafür eine fundierte Grundausbildung nötig. Man muß erst gehen können, bevor man tanzen kann.

Gruß

Andreas
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Fiamma
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Fiamma »

so, fast vergessen zu antworten. Idiocracy ist ein etwas bescheuerter SF- Film, in dem die zukünftige Bevölkerung komplett verblödet ist.

Zum Drill: Natürlich soll es keinesfalls um eine Rückkehr zur Rohrstockpädagogik gehen, allerdings darf und muss man als Lehrperson (und/oder Eltern?) sehr wohl klare Vorgaben machen. Zu viel Laissez-faire schafft eine Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit, die letztlich auch Kreativität abtötet.

Zwei Beispiele aus dem Musikunterricht: Kürzlich ein Gespräch mitanhören müssen, wo sich eine Mutter tierisch darüber aufgeregt hat, dass ihre Tochter im Musikunterricht etwas vorsingen musste. "Ja woher solls das Singen denn können?"

Umgekehrt beschwert sich eine andere Mutter, dass die Lehrerin (andere Schule), im Musikunterricht ja "NIX" macht, außer mit den lieben Kleinen Musik zu hören.
Tja, vielleicht hat sie es einfach aufgegeben, in dieser Klasse zu singen, weil es schlichtweg unmöglich ist??!

Dies ist wohl 1:1 auf Schönschrift etc anzuwenden.
Zuletzt geändert von Fiamma am 18.07.2014 13:24, insgesamt 1-mal geändert.
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glucydur
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von glucydur »

So wie Fiamma das schreibt, sehe ich es auch. Es gibt ja auch noch etwas zwischen Drill und Laisser-faire. Und mit Drill ist tatsächlich Drill und ein enormer Druckaufbau gemeint, der in Südkorea und Japan zum Beispiel dazu führt, dass die Selbstmordraten unter Schülern im Vergleich zu anderen Industrienationen überdurchschnittlich hoch sind. Eine klare Linie und verbindliche Vorgaben sind dagegen sicher hilfreich, um den Schülern Orientierung und Struktur zu geben.

VG

Alexander
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YETI
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von YETI »

Hallo zusammen,
um mal zu zeigen, worüber hier diskutiert wird, habe ich euch einen Text fotografiert, den mir meine Tochter heute aufgeschrieben hat. Das geschah ohne Aufforderung aus purer Lust am Schreiben.
Die Kurze ist jetzt mit einem sehr guten Zeugnis in die dritte Klasse versetzt worden und zählt laut ihrer Lehrerin zu den besseren Schülern in ihrer Klasse.
Ich möchte sie hier auch nicht bloßstellen, aber wenn ich so etwas sehe, bekomme ich Bauchschmerzen und natürlich werden solche Machwerke bei uns sofort korrigiert.

Gruß

Andreas
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glucydur
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von glucydur »

Hallo Andreas,

das macht nachdenklich über die Lehrer, die Deine Tochter unterrichten...

VG

Alexander
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YETI
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von YETI »

Hallo Alexander,
was meinst du, was ich da schon für Diskussionen gehabt habe. Leider kommen da immer die gleichen Sprüche. Man will die Kinder motivieren, überhaupt zu schreiben, man will Frust vermeiden, oder noch besser: Ihre Tochter ist doch sooo gut!
Und das stimmt sogar im Vergleich mit ihren Klassenkameraden, bei denen sich die Eltern nicht drum kümmern.
So sieht es aus, wenn man so schreibt, wie man es hört. Wenn man das mal unter dem Gesichtspunkt liest, hat meine Kleine alles richtig geschrieben!
Und so eine Schrift entsteht, wenn die Kinder Druckschrift lernen und dann ihre eigentliche Handschrift selber entwickeln sollen.
Ich fürchte, dieses Ergebnis ist erwünscht!

Verzweifelte Grüße

Andreas
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Fiamma
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Fiamma »

... und spielt natürlich gerade denen in die Hände, die die Handschrift ganz abschaffen wollen...
Buggs
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Buggs »

YETI hat geschrieben:Hallo zusammen,
um mal zu zeigen, worüber hier diskutiert wird, habe ich euch einen Text fotografiert, den mir meine Tochter heute aufgeschrieben hat. Das geschah ohne Aufforderung aus purer Lust am Schreiben.
Die Kurze ist jetzt mit einem sehr guten Zeugnis in die dritte Klasse versetzt worden und zählt laut ihrer Lehrerin zu den besseren Schülern in ihrer Klasse.
Ich möchte sie hier auch nicht bloßstellen, aber wenn ich so etwas sehe, bekomme ich Bauchschmerzen und natürlich werden solche Machwerke bei uns sofort korrigiert.
Moin,

meine schließt gerade die erste Klasse ab, und ist in der Orthographie vergleichbar.
Sie liest und schreibt gerne, auch immer wieder selbst gebastelte Bücher mit Geschichten (meist ohne Schluss). Im Laufe der Wochen wird es immer wieder mal etwas besser.
Bei allem Schmunzeln über die unvermeidlichen Fehler; ich gehe nicht mit dem Rotstift ran und ich halte ihr die Fehler auch nicht vor.
Oft will sie selber wissen ob alles richtig ist. Und dann ist sie auch offen für Hinweise.
Das wichtigste um es zu lernen ist, dass sie weiterhin Freude am Schreiben hat, und dass sie mit Freude und freiwillig liest. Ich habe meinen Kindern viel vorgelesen, später auch viel mit ihnen gelesen.

Man sollte mit den Bewertungen vorsichtig sein. Alle Versuche scheinbar triviale Dinge Computern und Robotern beizubringen sind bisher nicht sehr erfolgreich gewesen - weil sie nur scheinbar einfach sind.

Schaut euch doch mal die Roboter-Fußball-WM an, und vergleicht das mit dem Fußballspiel von dreijährigen Kindern.

Die Rechtschreibprüfung auf dem Computer basiert meist nur auf ein Vergleich mit großen Tabellen 'gültiger' Wörter. Grammatik und Sinnzusammenhänge sind davon unberührt...
Begleitet doch einfach mal Ausländer, die die deutsche Spreche lernen wollen oder müssen.

Jetzt ist Schluss, da die Pause endet.
Der Stift ist stärker als das Schwert. (NL)
Mr.Eyedropper

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Mr.Eyedropper »

Ingo Steube hat geschrieben:Würde man nur noch MINT-Studiengänge anbieten und sog. "Schwatzfächer" streichen, die Hörsäle würden große Lücken aufweisen.
Und dann bringt demnächst ein Physiklehrer Kindern das Schreiben bei? Sorry, aber nur ein kulturloser Mensch kann die Abschaffung der kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen fordern.
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YETI
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von YETI »

Buggs hat geschrieben:Bei allem Schmunzeln über die unvermeidlichen Fehler; ich gehe nicht mit dem Rotstift ran und ich halte ihr die Fehler auch nicht vor.
Oft will sie selber wissen ob alles richtig ist. Und dann ist sie auch offen für Hinweise.
Das wichtigste um es zu lernen ist, dass sie weiterhin Freude am Schreiben hat, und dass sie mit Freude und freiwillig liest. Ich habe meinen Kindern viel vorgelesen, später auch viel mit ihnen gelesen.
Ich wede mich hüten, zu streng an die Sache ranzugehen. Rotstift oder Ähnliches gibt es zu Hause nicht. Unsere Tochter ist auch neugierig und eine richtige Leseratte.
Ihr will aber nicht in den Kopf, daß die Schreibweise, die sie bisher gelernt hat und für die sie immer gelobt worden ist, auf einmal falsch sein soll.
Das gleiche Problem hatten wir Anfang des Jahres, als die Kinder die Druckbuchstaben auf einmal verbinden sollten. Sie hat gemerkt, daß das oft nicht sinnvoll geht und hat irgendwann die Versuche aufgegeben. Das Ergebnis sieht man ja.
Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich meiner Tochter helfen kann, ohne ihr das Vertrauen in die Schule zu nehmen, denn dann wäre es mit dem Lernen ganz vorbei.

Gruß

Andreas
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Thom

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Thom »

"Papa, why do you play all the same old songs,
why do you sing with the melody?
'cause down on the street something's going on,
there's a brand new beat and a brand new song."
(Joe Cocker)
Mr.Eyedropper

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Mr.Eyedropper »

@Yeti

Du musst ihr das Vertrauen in die Schule nicht nehmen, aber Du kannst natürlich selbst aktiv werden. Wenn Du noch nicht mit den Lehrern gesprochen hast, würde ich das dringend einmal tun. Nicht aggressiv, aber schon hinterfragen, was da getan wird und um den Lehrern zu zeigen, dass da seitens der Eltern ein Problembewusstsein vorhanden ist.

Das andere ist natürlich, dass Du sie selbst spielerisch forderst. Die Tochter meiner Freundin beispielsweise hatte immer Probleme mit der Konsonantengemination. Laut Lehrerin sollte sie sich beim Lesen die Wortgestalt (d.h. das Wort als Buchstabenbild) einprägen und dann schriftlich reproduzieren. Das mag bei vielen Kindern funktionieren - bei ihr ging noch einfacher: Ich musste ihr einfach nur erklären, dass man hinter kurzem Vokal (für Kinder: a, e, i, o, u) und Umlaut (für Kinder: ä, ö, ü) meistens Doppelkonsonanten schreibt. Das hat sie ruck zuck begriffen.

Spielerisch haben wir das dann ganz einfach trainiert: Am Kühlschrank hing immer eine Tafel und wenn wir in der Küche waren, bekam sie immer mal wieder ein Wort zugerufen, das sie an die Tafel schreiben sollte, oder hat sich selbst eins ausgedacht. Im Auto oder unterwegs haben wir Buchstabieren geübt - nervt die Mitmenschen, aber das Kind lernt dabei. Wir hatten auch ein kleines Motivationssystem, d.h. in den guten Wochen hat sie eine kleine Belohnung bekommen. Ging ganz einfach und binnen eines halben Jahres hat sich die Rechtschreibung deutlich verbessert. Als positiver Nebeneffekt hat sich übrigens auch das laute Lesen verbessert, weil sie deutlicher auf die Vokallängen achtet.

Das ck-Problem in dem Text ist übrigens von der gleichen Sorte. Versuch mal, ob sie mit der Erklärung zurecht kommt, dann wären schonmal 5 Fehler in dem Text obsolet.
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glucydur
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von glucydur »

YETI hat geschrieben:Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich meiner Tochter helfen kann, ohne ihr das Vertrauen in die Schule zu nehmen, denn dann wäre es mit dem Lernen ganz vorbei.
Ich glaube, dass Du es ganz richtig machst. Du hast das Problem und die Ursachen klar erkannt. Darüber hinaus besitzt Du viel Einfühlsamkeit in Bezug auf die Bedürfnisse Deiner Tochter. Diese Umstände sind die Schlüssel zur Lösung. Die Tochter meiner Freundin hatte die selben Probleme in der zweiten Klasse aufgrund der neuen Prioritäten im Grundschullehrplan und der geänderten Didaktik der Lehrer. Sie ist jetzt im Gymnasium und ihre Rechtschreibung und das Schriftbild sind in Ordnung. Allerdings hat das meine Freundin auch viel Zeit und Aufmerksamkeit gekostet. Wichtig ist, dass man konsequent bleibt und dabei trotzdem auf die kindliche Psyche Rücksicht nimmt. Das alles ist bei Dir gegeben.

Bestärkende Grüße

Alexander
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