Prioritäten im Grundschullehrplan

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YETI
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von YETI »

Ich habe mit der Lehrerin gesprochen und ich habe mit der Rektorin gesprochen, Antwort jedesmal gleich:
YETI hat geschrieben:Man will die Kinder motivieren, überhaupt zu schreiben, man will Frust vermeiden, oder noch besser: Ihre Tochter ist doch sooo gut!
Dreimal in der Woche geht sie zur Hausaufgabenhilfe, die eine Pensionierte Grundschullehrerin leitet,zweimal macht sie die Hausaufgaben zusammen mit mir zu Hause. Wir lesen viel. Früher haben meine Frau und ich die Gutenachtgeschichte vorgelesen, jetzt liest uns unsere Tochter vor. Ich schreibe der Kurzen Briefe, auf die sie antwortet. Meine Frau schreibt mit ihr Rezepte auf.
Die ganze Mühe zeigt auch Erfolg. Wenn nämlich ihre Klassenkameraden manchmal ihre Hausaugaben bei uns machen, merkt man sofort, daß es da noch trüber aussieht. Trotzdem ist es oft deprimierend.
Das Buchstabierspiel ist eine gute Idee, darauf bin ich noch nicht gekommen. Das werden wir bei der nächsten Gelegenheit probieren. Danke für den Tip.

Schöne Grüße

Andreas
Es ist besser ein kleines Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.
Fiamma
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Fiamma »

Mr.Eyedropper hat geschrieben:
Ingo Steube hat geschrieben:Würde man nur noch MINT-Studiengänge anbieten und sog. "Schwatzfächer" streichen, die Hörsäle würden große Lücken aufweisen.
Und dann bringt demnächst ein Physiklehrer Kindern das Schreiben bei? Sorry, aber nur ein kulturloser Mensch kann die Abschaffung der kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen fordern.

Ich befürchte ja, dass der Gegensatz nicht Geistes-/ Naturwissenschaft ist, sondern wirtschaftlich verwertbar oder "unnütz". (Es gibt sicher viele, die den Chemieunterricht genauso "sinnlos" finden, wie den Musik- oder Lateinunterricht. Lieber doch etwas mehr Präsentationstechniken, EDV und Wirtschaftsenglisch...)
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Tombstone
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Tombstone »

Als Selber-MINT-Akademiker hoffe ich inständig, dass dies nie passieren wird.

- zum einen sollte jeder nach seiner Begabung glücklich werden dürfen - selbst unter den MINT-Absolventen finden sich viele, die danach merken, was es für ein Blödsinn war, sowas zu studieren...

- zum anderen laufen von diesen ganzen Hackfressen (ich zähl die ganzen Betriebswirte und Marketingfuzzis mal mit dazu) eh schon viel zu viele auf unserem Planeten herum...

Ich hatte es heute mit Wilfried beim Mittagessen:

Viele kennen das Mooresche Gesetz, dass besagt, dass sich die Rechenleistung unserer Rechner in einem gewissen Zeitraum ständig verdoppelt. Nun ist es aber so, dass inzwischen die Geschichte problematisch wird - die Wellenlänge des Lichts bei der Belichtung ist die Grenze, kürzer wird schwierig.

Nun haben aber ein paar Nerds herausgefunden, dass man durch den Beschuss eines Zinn-Tropfens durch einen bestimmten Laser auf Basis der Lichtbrechung eine noch kürzere Wellenlänge erzeugen kann und damit noch feiner aufgelöste Halbleiterstrukturen erzeugen kann...

... und da überleg ich mir dann: was rauchen diese Knaben, dass sie auf solche Ideen kommen... ach, ich will es gar nicht wissen...
Ciao - Peter

Handle stets so, dass die anderen sich wundern, warum sie Dir noch keine reingehauen haben...
Thom

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Thom »

Wie auch immer, es gibt technologische Entwicklungen ohne die eine Gesellschaft funktioniert hatte, die aber, wenn sie einmal da sind, nicht mehr entfernt werden können. Die moderne Kommunikationstechnologie ist sowas. Die Handschrift wird aber in Zukunft nicht aus dem öffentlichen Leben verschwinden, weil sie da schon weg ist.

V.G.
Thomas

P.S. Ich hab nicht den geringsten Zweifel daran, dass YETI's Tochter auf dem Gymnasium ganz hervorragend schreiben können wird.
Mr.Eyedropper

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Mr.Eyedropper »

Fiamma hat geschrieben:Ich befürchte ja, dass der Gegensatz nicht Geistes-/ Naturwissenschaft ist, sondern wirtschaftlich verwertbar oder "unnütz". (Es gibt sicher viele, die den Chemieunterricht genauso "sinnlos" finden, wie den Musik- oder Lateinunterricht. Lieber doch etwas mehr Präsentationstechniken, EDV und Wirtschaftsenglisch...)
Also wenn man die Existenzberechtigung aus einem positiven Beitrag zum Wirtschaftssaldo ableitet, dann können wir nicht nur die unnützen akademischen Disziplinen abschaffen, sondern gleich die Euthanasie wieder einführen. Dahin führt solch naives Denken.

Es führt jetzt vom Topic weg, darum versuche ich, mich kurz zu fassen. Die vermeintlich unnützen "Schwatzfächer" haben für unsere Kultur ganz grundlegende Funktionen. Mit der Lehrerausbildung erfüllen sie eine zentrale Reproduktionsfunktion, sie haben wirtschaftliche Funktionen, sie steigern Komplexität durch Forschung, erzeugen Historizität, indem sie Narrative entwickeln. Aber viel entscheidender noch verwalten die Universitäten unser kulturelles Erbe, die kollektiven Erinnerungen unserer Kultur. Das, was in jeder Familie stattfindet - das Sortieren von Urlaubsfotos, das Nachdenken über die eigene Biografie, Erzählungen darüber, wie die Kinder aufwachsen, anderen vom letzten Urlaub erzählen, die Musikbibliothek sortieren, das machen die geisteswissenschaftlichen Disziplinen auch - nur in einem viel größeren Maßstab. Wer die Abschaffung dieser Fächer fordert, fordert letztlich die Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses, die Auslöschung unserer Identität. Eine Gesellschaft, die ihr eigenes Gedächtnis auslöscht, begeht gleichzeitig Suizid. Sowas kann nur ein simpler Geist denken, der nicht weiß, was Kultur bedeutet.
Thom

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Thom »

Das wird immer schräger! Wer Lehrerausbildung tatsächlich für unnütz hielte, müßte wirklich einen kapitalen Dachschaden haben. Außerdem ist es ausgesprochen naiv, andere für naiv zu halten.

V.G.
Thomas
Fiamma
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Fiamma »

vielleicht nicht grad abschaffen, aber sehr wohl eine Reihung von "wichtig" nach "weniger wichtig" (und dann eventuell noch geduldet).

Die Wertigkeit der Lehramtsstudien ist dann ein ganz eigenes Thema.
Mr.Eyedropper

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Mr.Eyedropper »

Fiamma hat geschrieben:vielleicht nicht grad abschaffen, aber sehr wohl eine Reihung von "wichtig" nach "weniger wichtig" (und dann eventuell noch geduldet).

Die Wertigkeit der Lehramtsstudien ist dann ein ganz eigenes Thema.
Eine solche Umgewichtung haben wir in den letzten Jahrzehnten sowohl an den Universitäten als auch an den Schulen gesehen. Da wird der Hauptakzent immer wieder auf die Naturwissenschaften, Informatik und Technik gelegt und erklärt, dass die Kulturfächer nicht so wichtig seien. Eine Konsequenz dieser fatalen Ungleichgewichtung diskutieren wir hier: Mangelnde Sprach- und Schreibkompetenz.

Ausbildung kann nur sinnvoll funktionieren, wenn man den Schülern aufhört weiß zu machen, dass die naturwissenschaftliche Ausbildung wichtiger sei als Deutsch- oder Lateinunterricht. Es muss endlich aufhören, beide Richtungen in der Schule gegeneinander auszuspielen. Beide sind gleich wichtig.
Thom

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Thom »

So, also wem's jetzt spätestens bei "Lateinunterricht" nicht von selbst klar geworden ist, dem kann man's kaum noch erklären.
Es gibt grundsätzlich eine unbegrenzte Anzahl von Fragen, die gestellt werden können. Jede Generation kann aber notwendigerweise nur eine geringe Anzahl davon tatsächlich stellen. Und da die dafür vorhandenen Ressourcen in jeder Hinsicht begrenzt sind, sollte man sich sehr genau überlegen, welche Fragen das sind. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum Wissenschaft entgegen anderslautender Behauptungen hochgradig politisch ist. Es sind natürlich die "Geldgeber", die entscheiden, welche der Fragen tatsächlich gestellt werden.

V.G.
Thomas
Fiamma
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Fiamma »

Und das ist erstrebenswert?
Mr.Eyedropper

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Mr.Eyedropper »

Thom hat geschrieben:Es gibt grundsätzlich eine unbegrenzte Anzahl von Fragen, die gestellt werden können. Jede Generation kann aber notwendigerweise nur eine geringe Anzahl davon tatsächlich stellen. Und da die dafür vorhandenen Ressourcen in jeder Hinsicht begrenzt sind, sollte man sich sehr genau überlegen, welche Fragen das sind. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum Wissenschaft entgegen anderslautender Behauptungen hochgradig politisch ist. Es sind natürlich die "Geldgeber", die entscheiden, welche der Fragen tatsächlich gestellt werden.
Das ist leider die grundlegende Tragödie des menschlichen Lebens - es gibt mehr Optionen, als je von einem Individuum realisiert werden können.

Gerade wenn die Wirtschaft Einfluss auf die Forschung nimmt, führt das zu einem großen Problem: Es werden bestimmte Fragen einfach nicht mehr gestellt und es sind nicht mehr die Individuen, die entscheiden, welche Fragen gestellt werden, sondern überindividuelle Systeme.

Noch eine Bemerkung zum Lateinunterricht. Der ist ja immer mehr auf dem Rückzug und ich finde auch, dass dies eine fatale Entwicklung ist. Lateinunterricht ist ja mehr, als nur Schülern eine tote Sprache beizubringen. Ich hatte seit der 5. Klasse Latein und seit der 7. Griechischunterricht. Gerade das Latein hat mir den systemischen Blick auf meine eigene Muttersprache eröffnet und mir gezeigt, wie Sprache im allgemeinen überhaupt funktioniert. Dank Latein bin ich einer wenigen, der noch den Unterschied von Konjunktiv 1 und 2 erklären kann...

Klar kann man sich immer wieder fragen, welchen Nutzen eine tote Sprache hat oder warum es von Relevanz ist, sowas wie den Konjunktiv 2 zu kennen. Aber wenn wir über unsere Sprachstrukturen selbst nicht mehr kennen, machen wir am Ende auch keinen Gebrauch mehr von den Ausdrucksmöglichkeiten, die uns die Sprache eröffnet. Wir fangen an zu stammeln - und auch das ist ja ursprünglich ein Thema dieses Threads.

EDIT: Tut mir leid, wenn ich mich etwas ereifere. Das ist ein für mich leidenschaftliches Thema. Ich halte mich jetzt etwas zurück.
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Pennino
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Pennino »

Mr.Eyedropper hat geschrieben:
1. .... Noch eine Bemerkung zum Lateinunterricht. Der ist ja immer mehr auf dem Rückzug und ich finde auch, dass dies eine fatale Entwicklung ist. Lateinunterricht ist ja mehr, als nur Schülern eine tote Sprache beizubringen ....

2. ..... Gerade das Latein hat mir den systemischen Blick auf meine eigene Muttersprache eröffnet und mir gezeigt, wie Sprache im allgemeinen überhaupt funktioniert ....
1. Dem stimme ich absolut zu !
2. Das war bei mir auch so .

Grüße
Pennino
" Il pennino è l'anima di una penna stilografica "
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Tombstone
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Tombstone »

Auf dieser Basis muss man sich aber auch überlegen, in wie weit solche Sachen wie Latein "allgemeingültig" sein sollten.

Klar, dem einen gibt es einen systematischen Blick auf die Muttersprache - dem anderen ist es aber ein Greuel, welches von ihm / ihr schlicht nur unter größtem Aufwand erlernt werden kann. Ich kenne leider viele, die speziell an Latein in der 5. Klasse gescheitert sind und dann über die Schiene Realschule / BOS ihr Abitur gemacht haben.

Was spräche dagegen, die ersten, sagen wir z.B. 9 Schuljahre wirklich mit "Allgemeinwissen" respektive "Alltagswissen" zu füllen - Mathe, Physik, Englisch, Geschichte, Deutsch, Sozialkunde, was auch immer. Am Ende der 9. kann dann jeder entscheiden, wo er hin will. Klappt doch bei der FOS auch prima. Und wer dann unbedingt Latein oder Altgriechisch oder Chinesisch machen will, kann dies genauso machen wie derjenige, der tiefer in Chemie, Physik oder Geschichte eindringen will...

Und bevor jemand fragt: ja, ich habe Latein (ab der 7., nach der 11. abgewählt, großes Latinum bestanden) gehasst, obwohl es immer ganz brauchbar gelaufen ist. Als ich in einem späteren Leben auf einmal für ein paar Jahre in Italien gelandet bin, hat es mir aber den Arsch gerettet...
Ciao - Peter

Handle stets so, dass die anderen sich wundern, warum sie Dir noch keine reingehauen haben...
Thom

Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von Thom »

Fiamma hat geschrieben:Und das ist erstrebenswert?
Das war schon immer so. Aber unser Blick auf die Welt ist umstellt ... von Spiegeln.

V.G.
Thomas
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glucydur
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Re: Prioritäten im Grundschullehrplan

Beitrag von glucydur »

Mr.Eyedropper hat geschrieben:Eine solche Umgewichtung haben wir in den letzten Jahrzehnten sowohl an den Universitäten als auch an den Schulen gesehen. Da wird der Hauptakzent immer wieder auf die Naturwissenschaften, Informatik und Technik gelegt und erklärt, dass die Kulturfächer nicht so wichtig seien. Eine Konsequenz dieser fatalen Ungleichgewichtung diskutieren wir hier: Mangelnde Sprach- und Schreibkompetenz.
Ich glaube, es macht wenig Sinn die Geistes- und Sozialwissenschaften gegen die Naturwissenschaften auszuspielen und umgekehrt. Wir brauchen beide. So wie die Geistes- und Sozialwissenschaften wichtig sind, um unser kulturelles Erbe zu sichern und auszubauen und gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, sind die Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften wichtig für den technischen Fortschritt und Innovationen. Was wäre unsere Gesellschaft beispielsweise ohne die Errungenschaften in der Medizin, der Energietechnik, der Mobilität oder des Informationsaustausches? Auf der andern Seite: Was wäre unsere Gesellschaft ohne die kulturellen Errungenschaften bspw. im Bereich der Literatur, Musik oder Kunst?

Das Argument, dass die MINT-Fächer an den Schulen gestärkt wurden hört man oft, ist aber tatsächlich nicht korrekt. Die Inhalte wurden sogar zusammengestrichen. Mein Vater war über 40 Jahre im gymnasialen Schuldienst, unterrichtete Naturwissenschaften und hat den inhaltlichen Niedergang dieser Disziplin miterlebt. Die mangelnde Sprach- und Schreibkompetenz ist nicht Folge dieser vermeintlichen Stärkung, sondern die Ursache für die Defizite ist ein erheblicher Substanzverlust der schulischen Bildung- und Ausbildung auf allen Gebieten. Die Universitäten und Ausbildungsbetriebe beklagen sowohl einen erheblichen Mangel in der Lese- und Schreibkompetenz als auch einen erheblichen Mangel in der Rechenkompentenz und des logischen Denkens.

Viel wichtiger wäre es, dass ein verstärkter Austausch zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften stattfindet, um ein ganzheitliches Denken zu ermöglichen. So wie es Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts noch möglich war. Max Planck, einer unserer größten Naturwissenschaftler, der vielen Schulen heute seinen Namen leiht, war nicht nur ein genialer Physiker, sondern er spielte auch hervorragend Klavier, Cello, Orgel, dirigierte und komponierte sogar eine Operette. Er genoss einerseits eine klassische humanistische Bildung, andererseits wurden in ihm im Mathematik-Unterricht Interesse an der Mechanik und Astronomie geweckt. Und das alles in einem Schulsystem, das, so scheint es mir, wesentlich inhaltsbasierter und leistungsfähiger war als unser heutiges.

Viele Grüße

Alexander
Gutta cavat lapidem.
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