Imperial V-424 Meisterwerk - Vorstellung

(älter als 30 Jahre)

Moderatoren: desas, MarkIV, Linceo, Lamynator, Zollinger

Antworten
Benutzeravatar
ddss
Beiträge: 388
Registriert: 14.08.2016 15:28

Imperial V-424 Meisterwerk - Vorstellung

Beitrag von ddss »

Hallo zusammen,

nachdem Thomas, Capt. Tolleys und ich dem genannten Füller wieder auf die Beine geholfen haben (viewtopic.php?f=14&t=20846), möchte ich ihn auch einmal vorstellen, weil man zu diesem Füller im Netz kaum etwas findet:
Imperial-Komplett.jpg
Imperial-Komplett.jpg (399.24 KiB) 2302 mal betrachtet
Die technischen Daten:

Länge mit Kappe: 13,0 cm
Länge ohne Kappe: 12,5 cm
Länge mit aufgesteckter Kappe: 16,0 cm
Durchmesser Kappe max: 1,34 cm
Durchmesser Schaft max: 1,15 cm
Durchmesser Sektion Mitte: 0,925 cm
Gewicht Kappe: 6,21 g
Gewicht Füller ohne Kappe unbetankt: 10,72 g
Gewicht Füller ohne Kappe betankt: 12,40 g
Tankvolumen: 1,68 ml

Der Füller hat eine flexibel schreibende #5-F-Feder von Degussa.

Ich vermute, dass Schaft und Kappe aus Zelluloid und die Endkappen sowie die Kolbenmechanik und deren Halte-"Mutter" aus Ebonit sind. Die Verzierungen auf dem Kappenring sehen witziger Weise aus wie aneinandergereihte Parker-Clips.

Auf dem Schaft ist eingeprägt: IMPERIAL V-424
Auf der Halte-"Mutter" für die Kolbenmechanik: "424" und "F"
Auf der Feder sind eingeprägt: Das Degussa-Logo (Raute mit Sonne/Mond darin) sowie: 14K - 585 - 1. QUAL
Imperial-Details.jpg
Imperial-Details.jpg (388.22 KiB) 2302 mal betrachtet
Die Kolbenmechanik ist geschraubt ("normale" Drehrichtung: gegen den Uhrzeigersinn heraus, mit ihm hinein) und lässt sich (notfalls mit einer Greifhilfe) relativ problemlos heraus schrauben. Die Original-Kolbendichtung war zerbröselt. Deren Ersatz gestaltete sich schwieriger als erwartet: Ich habe die unterste Scheibe der Kolbenmechanik, die die Dichtung festklemmt, mit vertretbarer Gewalt weder abdrehen noch abziehen können. Auch ist es mir trotz Lupe nicht gelungen, das Material der - völlig verhärteten - Originaldichtung zu ermitteln. Sie hat die Farbe von Kork und ist sehr feinporig. Es könnte sich auch um flexiblen korkfarbenen Kunststoff gehandelt haben, der einfach über die Scheibe gestülpt wurde. Da die Kolbenmechanik (vermutlich) aus Ebonit und die Scheibe sehr filigran ist, habe ich mich nicht getraut, ihr weitere Gewalt anzutun, und nach passenden O-Ringen gesucht, die einfach übergestülpt werden können. Drei O-Ringe mit einem Durchmesser von 4,48 mm und einer Dicke von 1,78 mm passen. Das war mir aber zu schwergängig. Also habe ich nur einen Ring in dieser Größe aufgeschoben und davor und dahinter je einen Ring mit einem Durchmesser von 2,9 mm mit derselben Dicke. Das funktioniert perfekt.

Weiter würde ich den Füller im "Normalfall" nicht zerlegen: Er hat nur einen einfachen Tintenleiter ohne Pufferkammern (Lamellen), der sich eigentlich wegen der heraus geschraubten Kolbenmechanik von oben reinigen lassen müsste. Ich musste die Feder nur deshalb ziehen, weil ich die Verbindungshülse zwischen Griffstück und Schaft mit Kleber nachdichten musste und das bei eingesetztem Tintenleiter mit ziemlicher Sicherheit schief geht (s. den oben verlinkten Faden). Feder und Tintenleiter sind gesteckt. Mit einem Heißluftgebläse und einiger Gewalt lassen sich Tintenleiter und Feder ziehen. Ich würde sie (wegen der Hülse) nur nicht herausschlagen: Die Gefahr, die Hülse zu treffen und damit den Füller zu zerstören, ist viel zu groß.

Ich schätze, dass der Füller zwischen 1935 und 1939 hergestellt wurde. Gemäß dem nachfolgend verlinkten Werbeblatt kostete der Vorgänger V-414 RM 13,50. Da Preiserhöhungen nicht in die Zeit passten, würde ich diesen Preis auch für den hier vorgestellten Nachfolger ansetzen. Damit hätte man für ihn exakt das Gleiche bezahlen müssen wie für einen Pelikan 100 oder einen MB 236. Das Meisterstück MB 136 war mit RM 27,- genau doppelt so teuer. Ein Pelikan 100N lag mit RM 17,50 dazwischen. Der Imperial gehört mithin in die (gehobene) Mittelklasse.

Da ich das Glück hatte, auf der letzten Kölner Füllerbörse neben dem Imperial auch noch einen Waterman #55 Red Ripple mit der langen #5-Herzloch-Feder kaufen zu dürfen (allerdings nicht aus der Restekiste :) ), bot es sich an, die beiden "Oldies" zu einem kurzen Vergleichstest gegeneinander antreten zu lassen:
Imperial_vs_Waterman-55.jpg
Imperial_vs_Waterman-55.jpg (396.64 KiB) 2302 mal betrachtet
Schreibprobe_02.jpg
Schreibprobe_02.jpg (83.3 KiB) 2302 mal betrachtet
Die Unterschiede sind nicht gewaltig: Beide Füller schreiben geräuschlos und ohne zu kratzen bei jedem beliebigen Druck und erzeugen auch bei geringem Druck zumindest noch den Hauch einer Linienvariation. Das diesbezügliche Potential beider Stifte ist enorm. Ich bin kein "Flexer" und möchte es auch nicht werden. Ich habe daher die Schleifen im Bild oben nur widerwillig "gemalt" und mich dabei vom "Grenzbereich" der Federn fern gehalten (beide können mehr). Für mich ist das Verhalten der Federn bei "normaler" (vor allem: nahezu druckloser) Schreibweise viel wichtiger: Hier ist der rund 10 Jahre ältere Amerikaner einen Tick besser: Er kommt mit jeder Schreibweise (kein Druck, wenig Druck usw.) in einer Weise klar wie ich es nur von ganz wenigen Füllern kenne. Beide Federn gehören aber zu den besten Exemplaren, die ich habe (und nur deshalb habe ich beim Imperial den oben beschriebenen Reparaturaufwand betrieben).

Die weitere Geschichte der Herstellerfirma "Füllhalter-Fabrik Gerlach & Bezner" habe ich mir aus den folgenden Links zusammengesucht (und kann daher keine Gewähr für deren Richtigkeit übernehmen; die Angaben decken sich aber mit diversen Geschäftspapieren, die ich in der Bucht gefunden habe):

http://www.eichwaelder.de/Altes/altesschild86.html
http://www.fountainpennetwork.com/forum ... ted-story/
http://www.fountainpen.it/Imperial/en

Wenn man den FPN-Artikel kurz zusammenfasst, ist das Ende des Unternehmens unrühmlich und kriminell:

"Gerlach & Bezner", produzierten zunächst in Leipzig und danach auch noch in einem Zweigwerk in Pardubitz/Tschechoslowakei (ab 1939: Protektorat Böhmen und Mähren). An das Werk in Pardubitz sind die Unternehmer mit Hilfe der Nazis gekommen. Der jüdische Unternehmer Jindrich Brod betrieb in dieser Stadt eine Fabrik, die u.a. Füllfederhalter produzierte. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis 1939 wurde Jindrich Brod enteignet. Die Füllhalterfabrik wurde von Gerlach und Bezner übernommen, die hier nunmehr eine große Menge eigener Stifte im "Werk Pardubitz" produzierten.

Jindrich Brod wurde 1943 in Mauthausen ermordet; seine Frau hat den Krieg ebenfalls nicht überlebt.

Nach dem Kriegsende 1945 wurde das Werk in der Tschechoslowakei verstaatlicht und produzierte danach Schreibgeräte für die russische Armee. Bezner konnte fliehen. Gerlach wurde inhaftiert.

Die Geschichte des Unternehmens war zu Ende.

Viele Grüße

Michael
ostfüller
Beiträge: 655
Registriert: 02.07.2012 19:00
Wohnort: Dresden

Re: Imperial V-424 Meisterwerk - Vorstellung

Beitrag von ostfüller »

Hallo Michael,

vielen Dank für Deine ausführliche und interessante Vorstellung dieses sehr schönen und seltenen Füllhalters.
Ich habe selbst einige Imperial-Füllhalter, allerdings in einem weniger gut erhaltenen Zustand.
Und die Feder ist natürlich hervorragend, typisch Degussa.

Ich wünsche Dir viel Freude mit diesem schönen Füllhalter,
Marco
Antworten

Zurück zu „Alte Schreibgeräte/Oldies“