Füllergeschichte(n) - Historische Flops

(älter als 30 Jahre)

Moderatoren: desas, MarkIV, Linceo, Lamynator, Zollinger

Antworten
Nitschewo
Beiträge: 678
Registriert: 24.08.2008 15:05
Wohnort: Münsterland

Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von Nitschewo »

Wenn man sich für die geschichtliche Entwicklung unseres Lieblings-Schreibgerätes interessiert, kommt man an den großen Herstellern und ihren Ikonen nicht vorbei. Pelikan 400, Parker Duofold oder Waterman No. 7 – das sind Modelle, die für die Erfolgsgeschichte ihrer Häuser stehen.

Aber sind es nicht gerade die Misserfolge, die die Historie erst richtig „rund“ machen? Innovationen, die gescheitert sind, weil sie am Zeitgeist vorbei gingen, technisch nicht ausgereift oder aber ihrer Zeit voraus waren? Weil sich Materialien als fehleranfällig erwiesen oder die Technik zu kompliziert war? Oder weil schlicht und einfach die Designabteilung einen ganz, ganz schlechten Tag hatte?

Die Flops der Füllergeschichte erzählen vielleicht eine Geschichte des Scheiterns. Sie erzählen aber auch eine Geschichte, die spannend, kurios, manchmal vielleicht tragisch ist. Und immer erzählen sie die Geschichte von Kreativität und dem Wagnis, etwas Neues zu probieren – auch wenn das manchmal in die Hose ging.

Ich möchte einen dieser Flops heute vorstellen: Den Sheaffer Stylist. Im Gegensatz zu Balance, PFM oder Targa war er nicht der große Wurf und seine Produktion wurde ebenso rasch wie sang- und klanglos wieder eingestellt.

Doch beginnen wir mit der Geschichte der Sheaffer Pen Company. Firmengründer Walter Sheaffer war ein bemerkenswert arbeitsamer Mensch, der bereits mit zwölf Jahren neben der Schule verschiedene Jobs annahm und nach seinem Schulabschluss im Juweliergeschäft seines Vaters arbeitete. Nach Heirat und Familiengründung folgte die Gründung seines eigenen Handels mit Klavieren und Orgeln. 1906 eröffnete er seinen eigenen Juwelierladen und entwickelte im Jahr darauf seinen ersten Füllfederhalter, einen Hebelfüller.

1913 erfolgte die Gründung der W. A. Sheaffer Pen Company, die sich 1917 in Fort Madison ansiedelte. 1920 wurde der Lifetime Pen eingeführt und 1922 mit Skrip eine eigene Tinte entwickelt. Zwei Jahre später wurde es mit Radite bunt in der Materialwelt: Sheaffer stieg von Ebonit auf Zelluloid um und führte den White Dot als Markenzeichen ein.

Ein erster Meilenstein in der Historie von Sheaffer war 1929 der Balance, der erste Füllfederhalter, der das Augenmerk auf eine „ausbalancierte“ Gewichtsverteilung des Stiftes um dessen Mitte legte.

Auch beim Befüllsystem zeigte sich das Unternehmen unter Walters Sohn Craig innovativ und experimentierfreudig: 1949 wurde das Touchdown-System vorgestellt, das teilweise bis in die 90er Jahre verbaut wurde. 1952 setzte man mit dem Snorkel noch eins drauf.

1966 wurde Sheaffer von Textron aufgekauft. Textron hatte als Textilproduzent in den 20ern angefangen, während des Krieges als Hersteller von Fallschirmen große Gewinne eingefahren und mochte sich nach dem Krieg nicht zurück entwickeln. Nachdem die textile Produktion in Friedenszeiten sich als nicht so lukrativ erwiesen hatte, entschied man sich, ein großer Mischkonzern zu werden und alles Mögliche vom Hubschrauber- über den Nockenwellen- bis hin zum Schreibgeräte-Hersteller aufzukaufen. Ein Konzept, das Textron bis heute zu einem großen Player macht.

Als Textron übernahm, war der Stylist bereits in der Entwicklung. Walter Sheaffers Philosophie war es immer gewesen, einen hervorragenden Füller für jeden Geldbeutel anzubieten, wobei der Schwerpunkt aber von jeher auf den hochpreisigen Modellen lag.

Auch der Stylist folgte dieser Philosophie. Schlanker, glatter, eleganter im Erscheinungsbild und mit einer Reverse-Feder ausgestattet, gab es ihn in einer Bandbreite von Plastik mit Metallkappe bis hin zum Walzgold-Modell. Jedenfalls sah die Design-Abteilung im Stylist diese Attribute. Die Kundschaft sah das nicht so. Der zwar federnd gelagerte, aber klobige Clip und das grobe Metallblech, das die Feder darstellte – das brachte die Zielgruppe nicht in Übereinstimmung mit Eleganz.

Dabei war der Stylist zumindest in der Werbung ein emanzipatorischer Durchbruch: Gab es bis dato bei Sheaffer ganz explizite Damen- und Herrenmodelle, so erschien der Stylist in der ganzseitigen Printwerbung als Must-have für alle Geschlechter.

Jedoch: Er kam nicht an. Weder bei den Damen noch bei den Herren. Nach nur drei Jahren versuchte man, mittels einer Triumph-Feder die Kundschaft doch noch für den Flop zu begeistern, bevor man ihn stillschweigend wieder aus dem Programm nahm und die Produktion des Imperial wieder aufnahm.

1987 wurde Sheaffer an die Schweizer Bankenfirma Gefinor verkauft, zehn Jahre später folgte dann die unglückselige Übernahme durch Bic, die die Produktion mehr und mehr in den asiatischen Raum verlegten, was der Qualität deutlich Abbruch tat. Heute gehört Sheaffer zu Cross und wird in Teilen wieder in Fort Madison produziert.

Sheaffer Stylist: Stromlinienförmig und ohne Übergang von Kappe zu Korpus, dafür mit Klotz-Clip
Bild

Schlank, elegant … oder doch ein bisschen moppelig
Bild

Neuerungen: Eine Feder, die reverse schreiben soll und aussieht wie ein grobes Blech, das sich verschämt zwischen Plastikteilen versteckt. Der White Dot ist einem krumpeligen „S“ gewichen.
Bild

„It’s mean, it’s lean, it’s a writing machine“: So bewarb Parker den Reverse Writer 180. Im Vergleich ist der Stylist wirklich eine Pummelfee.
Bild
Bild

Das ist nun doch eine längere Abhandlung geworden … Sorry dafür. Aber wenn das Thema Spaß macht, würde ich mich freuen, wenn sich auch andere mit der Vorstellung von Flops beteiligen!
Viele Grüße

Bianka

"Blessed are the cheesemakers!" Monty Python
Benutzeravatar
MrsColumbo
Beiträge: 207
Registriert: 16.12.2018 13:53

Re: Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von MrsColumbo »

Hallo Bianca,
sehr interessant zu lesen und prima Idee, mal die Nicht-Erfolge vorzustellen.
Danke!
Anke
Benutzeravatar
Reformator
Beiträge: 631
Registriert: 31.03.2013 22:11

Re: Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von Reformator »

Hallo Bianka,

danke für die kleine Zeitreise und den gezeigten Füller.
Das Design des Stylist an sich finde ich gar nicht so schlecht. Erinnert an einen Pinguin- oder Möwenkopf. Das Exemplar macht natürlich einen eher günstigen Eindruck - um nicht zu sagen billig. Darin steckt aber noch zu viel Dollarpen, so daß sich die anspruchsvolleren Kunden wohl auch von den höherpreisigen Versionen nicht angesprochen fühlten.
Bis demnächst...
Helge
Benutzeravatar
Pen-Tagon
Beiträge: 602
Registriert: 09.05.2021 7:46
Wohnort: Niederrhein

Re: Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von Pen-Tagon »

Nitschewo hat geschrieben:
11.02.2024 14:18
Heute gehört Sheaffer zu Cross und wird in Teilen wieder in Fort Madison produziert.
Toller Bericht, danke dafür! 👍

Allerdings wurde Sheaffer 2022 von William Penn übernommen wurde, einem Unternehmen mit Sitz in Bangalore, Indien. Und auch bei Cross munkelt man über die Verlegung der Produktion in den asiatischen Raum.
Gruß
Knut
Benutzeravatar
Edelweissine
Beiträge: 2506
Registriert: 08.01.2016 18:32

Re: Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von Edelweissine »

Um mal zum eigentlichen Thema zurückzukehren und ein weiteres Beispiel eines "Flops" beizusteuern:

Der Level von Pelikan wird ebenfalls seit Jahren (1996) nicht mehr produziert.
Er hatte einen innovativen Füllmechanismus, der gut funktioniert hat, wenn man stets dieselbe Tinte nachgefüllt hat. Tintenwechsel und Reinigungsvorgänge hat er weniger gemocht.
So gut wie unschlagbar war das Tintenvolumen: Fast der komplette Schaft diente als Reservoir.
Fürs Befüllen gab es spezielle Fläschchen, die mit einem feinen Röhrchen eine Silikonöffnung am Schaftende durchstoßen konnten.
Den Level gab es in Kunststoff mit Stahlfeder und mit Metallkappe und Goldfeder.
20240212_094614_copy_1601x501.jpg
20240212_094614_copy_1601x501.jpg (73.18 KiB) 708 mal betrachtet
Gruß,
Heike
Benutzeravatar
Querkopf
Beiträge: 891
Registriert: 27.08.2016 16:10
Wohnort: SW-Deutschland

Re: Füllergeschichte(n) - Historische Flops

Beitrag von Querkopf »

Danke, Bianka, für die reizvolle Thread-Idee und die gründliche Recherche!

Mir fällt auch eine Flop-Geschichte ein. Ich stieß zufällig drauf, durch einen Schubladenfund in einem Nachlass. Ich hab' damals nur so weit recherchiert, dass ich das unbekannte Ding identifizieren konnte. Firmengeschichte kann ich nicht beisteuern, weiß auch sonst herzlich wenig über die Füller der betreffenden Firma.

Es geht um den Waterman's X-Pen.
Um mal knapp zusammenzufassen, was Dirck de Lint (Ravens March Fountain Pens) dazu geschrieben hat (siehe Link):
Waterman's kriselte in den späten 1950er Jahren und suchte nach einem neuen Produkt, das einen ökonomischen Befreiungsschlag bringen sollte. Man entschied sich für einen Kapillarfüller. Volltönend beworben als "stylo magique", der sich selbsttätig füllt, nicht kleckst, flugtauglich ist etcetera (im Link ist eine hübsche Reklame dazu zu sehen).

Dummerweise war Waterman's damit zu spät dran, kurz zuvor war bereits der Parker 61 erschienen. Der war zudem technisch weniger schlicht gemacht, er ließ sich reinigen - beim Waterman's-Produkt ging das partout nicht...
Der X-Pen floppte und verschwand nach zwei Jahren still und leise vom Markt.

Er hatte aber wohl ein Nachleben: hier hat ein Forist aus Österreich berichtet, dass solch ein Stift 1969 sein Schulfüller war.
Schöne Grüße
Doris
Antworten

Zurück zu „Alte Schreibgeräte/Oldies“