Orgea

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Will
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Re: Orgea

Beitrag von Will »

Hallo Cepasaccus,

erst einmal vielen Dank für Deine Tipps, Links und Hinweise. Aber bei mir macht sich gerade der blanke Horror breit. Das klingt alles mehr nach Füllerpest, da sich das ganze offensichtlich ausbreitet. Die meisten meiner Füllhalter sind aus Celluloid und ich bekomme regelrechte Anflüge von Panik. Sollte ich meine Sammlung im Kühlschrank aufbewahren oder direkt im Gefrierfach?

Sehr beunruhigte Grüße

Gerd

PS: Handelt es sich bei einer Version des Waterman 100 Years um das gleiche Phänomen? Ich habe schon öfter gesehen, dass bei diesen die durchsichtigen Endstücke an Kappe und Korpus kritallieren und zerbröseln.
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Cepasaccus
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Re: Orgea

Beitrag von Cepasaccus »

Ich kenne den Fueller nicht, aber kann schon sein. Gefaehrdet sind Celluloid und Celluloseacetat, was vermutlich in modernen farbenprächtigen Fuellern verwendet wird. Am bekanntesten ist das Problem mit diesen Materialien bei den alten Kinofilmen, die zuerst aus Celluloid hergestellt wurden und man dann, wegen dem einen oder anderen abgebrannten Kino, auf Celluloseacetat umgeschwenkt hat. Ich glaube, dass Celluloid freundlicherweise noch stabiler ist als das Celluloseacetat. Den Zerfall dessen bemerkt man uebrigens am Essiggeruch. Vielleicht ist das Celluloid der Orgea-Fueller minderwertig? Das zerbroeseln von Fuellern lese ich hier in diesem Faden naemlich das erste mal.

Cepasaccus
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Cepasaccus
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Re: Orgea

Beitrag von Cepasaccus »

Zur Lagertemperatur vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/RGT-Regel, d.h. je 10°C weniger halbiert bis viertelt sich die Geschwindigkeit der Zerfallsreaktion. Also im Prinzip ist Gefriertruhe besser als Kuehlschrank. Fuer die Aufbewahrung im Kuehlraum sind PeliCases ganz gut. Man sollte noch Silicagelbeutel dazutun, damit keine Feuchtigkeit auskondensiert. Vielleicht gibt's noch Absorptionsmittel fuer Saeuren?

Cepasaccus
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Will
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Re: Orgea

Beitrag von Will »

Habe gerade den Artikel gefunden, auf welchen Frodo verwies. Demnach ist das Problem schon länger bekannt und befällt auch Füllhalter, welche erst 20 Jahre alt sind. Der Zerfall scheint jedoch nicht in Masse aufzureten. Offensichtlich müssen verschiedene Faktoren zusammen kommen, um ursächlich für die Zersetzung zu sein. Qualität ist dabei wohl eher schwierig zu beurteilen, zumindest nehme ich an, dass z. B. Omas keinen Plunder produziert.

Hier der Link zum Nachbarforum:

http://fountainpenboard.com/forum/index ... gradation/
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Cepasaccus
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Re: Orgea

Beitrag von Cepasaccus »

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Will
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Re: Orgea

Beitrag von Will »

Oh, da hat es den Link verhauen. Ich meinte diesen:

http://fountainpenboard.com/forum/index ... gradation/
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Frodo
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Re: Orgea

Beitrag von Frodo »

Cepasaccus hat geschrieben:http://www.deutsches-kunststoff-museum. ... g/waentig/
Gibt es hoffnungslose Fälle?

Leider ja. Objekte aus Cellulosenitrat. Wir haben bisher noch keine Methode entwickeln können, die den Zerfall zurück hält.
Ansonsten koennte man sich noch dieses Buch ansehen:

http://www.siegl.de/Restaurierung/Schna ... ::765.html

Mein Tip waere noch die Fueller moeglichst getrennt voneinander aufzubewaren damit Ausduenstungen eines zerfallenden Fuellers nicht stabile Fueller beeintraechtigen. Und auch moeglichst kuehl aufbewahren, weil dann Reaktionen langsamer ablaufen.

Cepasaccus
Hi Cepa
Hast Du das Buch oder hast Du es gelesen? Es sollte schon der akute Fall geschildert werden. ansonsten ist ein Kauf nicht viel wert.
Ich selbst habe die betreffenden Füller erstmal mit etwas Waschpulver und etwas Ammoniak- haltigem Glasreiniger gewaschen. Die Ausdünstung von Salpetersäure oder NO2 scheint belegt zu seinDie Tintenfenster waren nur leicht getrübt. Das Innengewinde der Fassung, die die Kolbenstange dreht wurde in 2 Fällen aber schon bei Drehung zerdrückt. Das Gehäuse besteht auch aus Transparentem Material. Einige der Clips sind tief verrostet und bereits abgebrochen. Die Oberfläche sieht aber nach dem überpolioeren wieder glatt aus. Mir ist schonmal ein halber Karton fabrikneuer Mercedes auf diese Art verrottet, die vorher 30 oder 40 Jahre lang im alten Werk gelegen hatten. Alle Füller mit klar- transparentem Tintenfenster waren nicht mehr zu retten, alle mit blauem Tintenfenster waren in Ordnung. Eigenartigerweise halten Gebrauchtfüller offenbar besser. Westerrich hat mal berichtet, dass neue ialienische Zelluloidfüller sich auf diese Weise verabschiedet haben. Zelluloseacetat ist allerdings etwas ganz anderes. Das sollte mal streng außen vor gehalten werden. Farbiges Celluloid ist, nach meiner bisherigen Beobachtung, nicht betroffen. Auch Celluloid welches sich rot verfärbt hatte, scheint stabil geblieben zu sein. Zur Chemie des Celluloids aber später mehr. Es hat auch nix mit hochwertigen oder minderwertigen Füllern zu tun. Ich habe einen guten Füllerfreund aus Köln gesehen der mehrere dieser extrem teueren Soennecken 333 am Tintenfenster durch einen kurzen Würgegriff ind Jenseits befördert hatte.
Vielleicht sind Küchenausdünstungen (Sauerbraten) oder Leder- Gerbstoffe die Ursache.
Sollte Die fortschreitende Plastikzerstörung auf eine Radikal- Kettenreaktion zurüchzuführen sein, dann könnte tatsächlich Eisenhaltige Tinte ein Radikal fänger sein. Ich werd mal was zusammenschreiben. Kaputte Cklips kann ich ersetzen, da sind noch einige da.
Gruss, Frodo
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Cepasaccus
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Re: Orgea

Beitrag von Cepasaccus »

Nein, ich kenne das Buch nicht. Es erschien mir nur bei meiner Suche das zu sein, das vielleicht am interessantesten ist. Es enthaelt immerhin ein paar Seiten zum Thema Celluloidkonservierung.

Vielleicht haengt die Stabilitaet nicht vom Preis aber vielleicht vom Herstellungsprozess ab.

Cepasaccus
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Will
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Re: Orgea

Beitrag von Will »

Im Artikel werden verschiedene Ursachen benannt, unter anderem war die Sprache von Licht und Temperatur. Auslösende Momente könnten demnach auch im Herstellungsprozess bereits angelegt sein. Dies sehe ich z. B. eher als Thema für moderne Celluloidfüllhalter mit entsprechenden Problemen. Bei historischen Füllhaltern ist das kaum zu beantworten, da jeder dieser alten Schreibgeräte eine andere Vergangenheit vorzuweisen hat.

Regnerische Januargrüße

Gerd
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Frodo
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Re: Orgea

Beitrag von Frodo »

Hi Gerd
Nochmal zur Eiführung ein kleiner Schriftsatz zu Celluloid, den ich hier vor einigen Jahren al veröffentlicht habe. Wenn Du ihn schon kennst, kannst Du das gerade überspringen.
Celluloid und Celluloseacetat
Celluloid ist sicher der schönste und spektakulärste Kunststoff für die Schreibgerätefabrikation. Der Stoff ist eine Mischung aus Nitrocellulose und Campher und soll erstmals 1856 von Alexander Parkes hergestellt worden sein. Nitrocellulose, Schießbaumwolle oder, chemisch korrekt, Cellulose- Salpetersäure- Ester wird aus Baumwolle oder Holzfasern mit Nitriersäure, einer Mischung aus konzentrierter Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure, behandelt. Werden alle drei der freien –OH Gruppen in den Cellulose- Untereinheiten nitriert, erhält man Schießbaumwolle mit etwa 13% Stickstoff, die an der Luft heftig- unter Stoß oder Schlag explosionsartig verbrennt. Werden nur zwei der drei –OH Gruppen verestert dann entsteht Kollodiumwolle mit etwa 10% Stickstoff, die in Ether- Alkohol löslich ist. Auch diese Substanz verbrennt heftig, ist aber weniger explosiv.
Campher ist ein Inhaltsstoff des Campherbaumes, der in Südostasien beheimatet ist. Das weiße Pulver wird durch Wasserdampfdestillation aus dem Holz gewonnen. Es ist ein bicyclisches leicht flüchtiges Keton aus der Terpenreihe und riecht streng, etwas an Pfefferminz erinnernd. Campher- Präparate werden gemeinsam mit Lanolin oder Leinöl als Einreibmittel bei Atemwegserkrankungen eingesetzt, viele werden es noch von früher her mit Grausen in der Nase verspüren. Der enorme Bedarf an Campher wurde allerdings alsbald durch synthetisches Produkt substituiert.
Wie kommt man auf die Idee zwei solch exotische Verbindungen miteinander zu vermischen? Den Chemikern sollte die Antwort leichter fallen: Bei der experimentellen Bestimmung der Molmasse eines unbekannten Stoffs mit Hilfe der Gefrierpunktserniedrigung (Kryoskopie), wurde häufig Campher zugemischt, weil diese Substanz die enorm hohe kryoskopische Konstante von 40 K/kg mol hat, was recht genaue Messungen versprach. Allerdings bildete sich bei diesem Versuch mit der ungleichmäßig nitrierten Cellulose kein fester Schmelzpunkt, sondern ein sehr weiter Schmelzbereich. Genau genommen ist die Mischung auch noch bei Raumtemperatur eine extrem zähe Flüssigkeit, bei der nur die eigene Oberflächenspannung ein zerfließen des schönen Schreibgeräts verhindert. Lehnt man allerdings Stäbe oder Röhrenmaterial, welches zur Herstellung von Füllhaltern gebraucht wird, einige Wochen schräg an die Wand, dann hat man nur noch bananenförmiges Drehmaterial, welches sich nur äußerst störrisch zurück in die ursprüngliche Form bewegen will.
Das Celluloid war ein sehr beliebtes Material, die weiße, oft perlmutt- artige schmelzbare Masse liesßsich gut verarbeiten, wenn auch beim Drechseln ständig mit Wasser besprüht werden musste, da die anfallenden Drehspäne bei einer Selbstentzündung kaum wieder gelöscht werden konnten. Celluloid wurde z.B. als Ersatz für Elfenbein verwendet. Bekannt sind die Puppenköpfe aus Celluloid, die unter Anderen in der Rheinischen Cellstoff- und Gummiwarenfabrik „Schildkröt“ in Mannheim- Neckarau hergestellt wurden. 1924 brachte die Firma DuPont Röhrenmaterial für die Schreibgerätefabrikation in einer fast unendlichen Farbenvielfalt auf den Markt. Das Material war leicht, aber trotzdem äußerst bruchfest. Man weist dem Celluloid „haptische“ Eigenschaften zu. Tatsächlich verdampfen geringe Mengen von Campher aus der Oberfläche, die auch Hochglanzteilen eine mikroskopische Rauheit verleihen und ein Abglitschen durch an der Hand frei werdende Feuchtigkeit verhindern. Die Füllhalter fanden reißenden Absatz und die konservativ denkenden Firmen, wie Waterman und Kaweco, die Celluloid nur sehr schleppend adoptierten, wurden von Platz eins der nationalen Produzenten katapultiert.
Sehr beliebt war die Färbung „hellperl“, sie wurde von vielen Firmen verwendet. Weißes Celluloid wurde grob zermahlen und mit flüssigem schwarzem Material in den Zwischenräumen verpresst. Aus dem Block wurden dann Vierkantstäbe herausgesägt, die rund gedreht und innen ausgebohrt wurden. Der größte Teil des Materials wurde bei diesem Herstellungsprozess zerspant. Bei einem alternativen Herstellungsverfahren wurden aus dem Rohmaterial dünne Bänder oder Blätter herausgeschnitten, die dann spiralig oder konzentrisch um einen Stahlstab herum verklebt wurden. Dieses Patentverfahren war zwar erheblich materialsparender, doch ergab sich nicht mehr die interessante teilweise transparente Tiefenwirkung des Produkts. Theoretisch war das wiedereinschmelzen von Drehspänen bei einfarbigem Material mit kleinen Einschlüssen, wie z.B. beim Lapislazuli- Imitat denkbar, allerdings enthielten die Abfälle größere Mengen von Wasser, auch Öl und Staub sowie Lufteinschlüsse, die die Qualität des aufgearbeiteten Celluloids erheblich minderten.
Ein Patentmuster ergab sich durch die regelmäßige Schichtung verschiedenfarbiger Celluloid- Platten, meist schwarz und farbig. Wurde der fertig verklebte Block zusätzlich schräg zur Schichtung zersägt und jeweils um 180 Grad verdreht erneut miteinander verklebt, dann ergaben sich interessante Fischgrät- Muster. Die Schichten konnten mit geringen Mengen Aceton verklebt werden, das Lösungsmittel löst dabei die Oberfläche an und erzeugt eine innige, sehr feste Verbindung.
Deshalb können zerbrochene Celluloidteile auch mit Aceton geklebt, die Oberflächen von historischen Reparaturfüllern aber auch durch versehentlich zerlaufenes Lösungsmittel möglicherweise irreparabel ruiniert werden. Auch andere Lösungsmittel, wie z.B. Essigester lösen das Celluloid und Celluloseacetat an. Deshalb sollten niemals Klebstofftuben in Federmäppchen mitgeführt werden.
Celluloid unterliegt wegen der leichten Entzündlichkeit der Gefahrstoffverordnung und wird in Deutschland nicht mehr hergestellt und verarbeitet. Ein Ersatzprodukt, welches ebenfalls auf pflanzlicher Basis hergestellt wird, ist Celluloseacetat. Hierbei werden die drei freien – OH Gruppen der Cellulose- Untereinheiten mit Essigsäureanhydrid verestert. Der thermoplastische Kunststoff ist billig herstellbar und in wenig polaren Lösungsmitteln löslich, neben Füllhalterschäften werden z.B. durchsichtige Griffe von Schraubendrehern daraus hergestellt. Von den Materialeigenschaften her ist Celluloseacetat, verglichen mit Celluloid, vollkommen verschieden. Die Aussage, Celluloseacetat sei praktisch dasselbe wie Celluloid, nur weniger entzündlich, ist natürlich absolut aus der Luft gegriffen.

Nach eingehender Beschäftigung mit der Originalliteratur, die von Isaacson zitiert wurde, muss ich konstatieren dass diese Schrift recht flapsig und nichtssagend abgefasst worden ist. Am Ende kann man eigentlich nur sagen: Alles kann von Allem kommen. Das Niveau der Chemie der Prozesse ist erschreckend niedrig, den Vorgang der Denitrifizierung bin ich, zumindest in ähnlicher Weise, damals bei meiner Mittelschul- Abschlussprüfung gefragt worden. Auch die Darstellungen von IR- Spektren haben für das Schadbild absolut keine Hinweiskraft und dass die maximal absorbierende Bande von etwa 4000 pro cm im ultravioletten Bereich liegen soll hätte eigentlich auffallen müssen.
Doch liegt, nach meiner Theorie, gerade im UV- Bereich der Schlüssel zur Schadensfolge.
Viele Celluloid- Artikel sind 70 Jahre alt und haben längere Zeit ihre Struktur erhalten. Die Lagerung war völlig unbeaufsichtigt, ob hell, dunkel feucht oder trocken und in der Regel bei Raumtemperatur. Die in der Schrift angegebenen 100 Grad Celsius als Zersetzungstemperatur für die Nitrogruppe war sicher kaum je vorhanden. Auch die Additive und Farben aber insbesondere enthaltene Schwermetalle waren lange Zeit im Material vorhanden und haben lange Zeit möglicherweise nichts bewirkt. Auch das ausdünsten von Campher sollte bei allen Celluloidartikeln gleichsam vorgekommen sein doch es gibt eine signifikante Häufung des Schadbilds gerade bei Füllern, die im gleichen Behälter gelegen haben. Es sollte schon eine zusätzliche Noxe hinzugekommen sein, die erst in den letzten 20 Jahren vermehrt aufgetreten ist.
Meine empirischen Beobachtungen zielen auf die Denitrifizierung denn die heftige Korrosion an Eisen, Nickel und Messing auch in trockenem Zustand kann eigentlich nur vom Ausgasen von Salpetersäure oder seinem Anhydrid, dem Stickstoffdioxid herrühren. Wenn ich die Bindungsenergie der Nitrogruppe im Zelluloid nachschlage und diesen Bindungsbruch, wenn er photochemisch erlaubt ist, in die Energie einer Welle umrechne, ergibt sich tatsächlich nahes UV- Licht! Man sieht manchmal volltransparente historische Füllhalter, deren Tintenraum eigenartig rot gefärbt ist. Natürlich könnte das von Eosin- Tinte kommen, welches sich ins Plastik hinein verkrochen hat doch erstens ist es wasserlöslich und die Farbe stimmt auch nicht mit dem Fuchsrot zusammen, in dem auch viele, früher möglicherweise klar weiße Tintenfenster gefärbt sind. Die Farbe gleicht eher dem NO2, welches sich in den porösen kanalartigen Hohlräumen des Celluloids befinden könnte. Die Tinte selbst könnte ser Sensibilisator gewesen sein, der die Reaktion der Denitrifizierung ausgelöst hatte. Deshalb ist die rote Tönung nur auf den benetzten Bereich ausgedehnt.
Es war augenfällig, dass sich das Schadbild eher an den oberen Füllhaltern einer mehrlagigen Schüttung von Füllhaltern in einem Behälter zeigte und immer von weiß- transparentem Celluloid ausging. Der oberste Füllhalter zeigte sogar an seiner Unterseite ein geringeres Schadbild. Dieses weist eher auf eine Belichtung statt auf eine Gasreaktion hin.
Wo könnte die zusätzliche UV- Quelle der letzten Jahre herrühren? Mein Verdacht sind die gesetzlich vorgeschriebenen Energiesparlampen sowie die Leuchtstoffröhren, die auch als sogenannte Warmtonlampen noch ein verdammt heftiges Paket UV auf uns herunter donnern. Ist der Prozess erst einmal ausgelöst, dann könnte er autokatalytisch weiterwandern. Dh. die Protonierung am Sauerstoffatom der Nitrogruppe durch ausgasende Salpetersäure könnte weitere Nitrogruppen abspalten. Das Gleichgewicht der beiden Lösungsteilnehmer Nitrocellulose und Campher wird gestört und eine sogenannte "Mischungslücke" entsteht, die die Struktur völlig ändert.
Ich werde, entgegengesetzt den Vorschlägen aus dem Script, meine Celluloid- Füller basisch abwaschen und als Abdeckung für Ausstellungsstücke UV- dichtes Plexiglas besorgen. Alte Glühlampen habe ich mir seit einiger Zeit schon eingeschraubt.
Gruss, Frodo
FFF
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Re: Orgea

Beitrag von FFF »

Hallo Frodo,

vielen Dank für Deine Erläuterungen.
Kann ich daraus schließen, dass ich bestimmte Füllermaterialien nicht zusammen lagern soll?

Die "Grünspan"-bildung und Auflösungen an manchen Metallringen oder Clips alter Celluloid-Füllern kann ich eventuell mit einer basischen Reinigung verhindern?

Meine chemischen Kenntnisse sind selbst mit einem Mikroskop kaum zu erkennen!

Gruß
günter
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Will
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Re: Orgea

Beitrag von Will »

Lieber Frodo,

ein ganz ganz herzliches Dankschön für Deinen umfassenden und für mich erhellenden Beitrag. Ich bin immer wieder von Deinem ezyklopädischen Wissen beeindruckt. Ich musste mir die Fülle an Informationen eine Weile durch den Kopf gehen lassen, weshalb ich so spät erst antworte. Folgende Punkte halte ich bezüglich des Pencancer-Problems für mich noch einmal rekapitulierend fest:

1. Ich muss nicht damit Rechnen, dass mir jetzt alle meine liebgewonnen Füllhalter infiziert und zerstört werden -> Der wichtigste und beruhigendste Fakt

2. Es betrifft nur klarweißes Celluloid -> Was das Problem erfreulicher Weise deutlich eingrenzt

3. Befallene Füllhalter separieren -> Hier tut sich für mich eine Frage auf: Wäre es ausreichend den befallenen Teil des Füllhalters zu entfernen? Beispiel: Die Kolbenstange ist angegriffen oder so gut wie zersetzt, alle weiteren Teile des Füllhalters zeigen jedoch keine Zerfallserscheinungen

4. Die Füllhalter unter Ausschluss von UV-Licht kühl lagern -> Alle meine Füllhalter werden, soweit diese nicht aktuell in Gebrauch sind, in Ledermappen oder Boxen dunkel gelagert. Alleine das Risiko des UV-bedingten Verfärbens hat mich bereits entsprechend vorsichtig sein lassen

5. Es wirken offensichtlich verschiedene Faktoren unglücklich zusammen, um das Schadensbild zu verursachen und es ist auf keinen bestimmten Hersteller einzugrenzen -> Somit ist das Risiko beim Ankauf eines historischen Füllhalters nicht kalkulierbar ob dieser befallen wird oder nicht, wobei ich dieses grundsätzlich als gering einschätzen würde, wenn es keine Anzeichen von Füllerkrebs gibt und die weitere Lagerung sachgemäß erfolgt

6. Der alte Orgea meines Großvaters war fast ein Jahrhundert in der massiven Schublade seines Schreitischs gelagert und ist völlig intakt -> Die dunkle Aufbewahrung war offensichtlich dem Erhaltungszustand sehr zuträglich. Alle vorgebrachten Beispiele belegen, dass die Reaktion ohne Lichtzufuhr nicht zustande kommt. Darum messe ich ebenfalls UV-Strahlung die höchste Bedeutung als Risikopotenzial bei

7. Der Kristallierungsprozess kann nicht mehr rückgängig gemacht werden -> Es gibt keine Heilung, Arzenei oder Chemotherapie für befallene Teile, was für einen schönen alten Celluloidfüllhalter, sei es nun ein Orgea, Soennecken oder z. B. ein Omas, mehr als eine traurige Nachricht ist

Herzliche Februargrüße

Gerd
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