Castell Wertfüller 36/50

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newlife
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Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von newlife »

Hallo ihr alle!

Passend zum Adventskalendertürchen zum 23. Dezember möchte ich euch dieses Schätzchen näher vorstellen, besonders, was die Innereien angeht, denn die sind von der Technik schon ungewöhnlich. Es ist mit Sicherheit einer der am schwierigsten zu reparierenden Füller des deutschen Markts, den ich kenne, und ich habe ihn auch nur durch Tricks und Kniffe nach langem Überlegen überlisten können.

Als ich 2010 meinen ersten Wertfüller in schwarz erwarb, stand ich vor dem selben Problem wie bei diesem schönen, grau marmoriertem Exemplar. Er ließ sich nicht füllen. Der Druckknopf hinten ließ sich zwar drücken, aber es wurde keine Tinte aufgenommen. Damals war ich am Beginn meiner Laufbahn als Liebhaber und Reparateur, und dieser Füller überforderte mich insofern, als ich keine Möglichkeit sah, ihn zu zerlegen.

Ich hatte aber schon Kontakt zu Francis Goossens aka fountainbel, den mir ich weiß nicht mehr wer hier aus dem Forum ans Herz gelegt hatte. Ein guter Tipp, ich bedanke mich nachträglich noch einmal, vielleicht erinnert sich der/diejenige ja noch daran, denn Francis ist schon ein Meister seines Fachs, der mir gern mit Rat und Tat zur Seite steht. Francis reparierte den Füller, und ich bekam sogar eine Skizze dazu geliefert, die ich hier veröffentlichen darf und die Probleme dieses Modells veranschaulicht. Hier aber zunächst sein Foto, das die Innereien nach dem Zerlegen zeigt:


Bild


Und hier nochmal in intaktem Zustand von meinem aktuell beschriebenen Füller:


Bild


Bei diesem Füller handelt es sich - entfernt - um eine Abart des bekannten Parker 51, der mit dem Vacumaticprinzip arbeitet. Wie das funktioniert? Nun, bei einem Vacumatic wird durch einen Stößel am Füllerende eine Gummimembran zusammengedrückt - axial! - , dadurch wird die Luft aus dem Füller gedrückt, und beim Loslassen des Stößels wird Tinte angesaugt. Sie wird durch ein am hinteren Ende des Tintenleiters eingebrachtes Röhrchens ins Innere des Füllers befördert. Erreicht die Tinte im Innern das obere Ende des Röhrchens, kann keine Tinte mehr aufgenommen werden, der maximale Füllstand ist erreicht. Vorteil beim Vacumatic war die sehr kleine Mechanik, die es ermöglichte, ein Maximum des Schafts mit Tinte zu füllen anstatt mit einer langen Kolbenmechanik.

Der Castell Wertfüller ist in diesem Sinne kein ausgesprochener Vacumaticfüller, er ist eine Kombination aus diesem mit einem Druckknopffüller, das Füllprinzip mit dem Röhrchen ist aber identisch. Ein Druck auf den hinteren Knopf drückt einen Schlauch im Innern per Druckstange nach altbekanntem Prinzip zusammen, der Rest ergibt sich nach obigem Verfahren durch das Röhrchen, es braucht wie beim Vacumatic einige Füllstöße, bis der Schaft voll ist. Nachteil gegenüber dem Vacumatic: Der Schlauch wird seitlich zusammengepresst, weshalb das Röhrchen nicht in den Bereich des Schlauchs kommen darf, es soll ja bei seitlichem Druck nicht abbrechen. Das aber verringert das nutzbare Füllvolumen!

Zudem hat Castell es sehr schwer gemacht, den Wertfüller zu reparieren, und man fragt sich heute, warum, denn das Altern der Gummisäcke, das Verhärten mit nötigem Austausch des Tintensacks muss ja damals wohlbekannt gewesen sein. Entweder hatte man damals bei Castell Spezialwerkzeuge, die das Einbringen eines Tintensacks erleichterten, oder ich bin einfach nicht auf den richtigen Dreh gekommen. Die Skizze von Francis verdeutlicht die Schwierigkeiten recht gut:


Bild


Man sieht deutlich, dass sich im Innern eine Art Kragen verbirgt. Der neue Schlauch muss also in diesen schmalen Schlitz zwischen Kragen und Außenwand gebracht UND verklebt werden! Ich kann mir das nur so vorstellen, dass man mit einer Pipette Schellack in diese Fuge träufelt und den passend gekürzten Schlauch sanft hineinschiebt. Hätte ich auch so gemacht, nur war leider bei meinem Castell ein Teil dieses Kragens abgebrochen, sodass der dünnflüssige Schellack weggelaufen wäre, in Richtung Vorderteil, wo ja die Feder eingeschraubt werden muss, das Gewinde also nicht betroffen sein darf. Gut, ich hätte vorn alles zustopfen können, wäre mir aber nicht sicher gewesen, ob der Schellack alle relevanten Stellen abdichtet.

Schließlich kam ich auf eine andere Idee. Ich würde den Schlauch einfach in den zum Griffstück sich verjüngenden Teil des Schafts kleben, quasi an die Innenwand! Das habe ich auch zuerst mit Schellack probiert, aber er ist einfach zu flüssig, es hat nicht funktioniert. So habe ich es mit UHU Flinke Flasche gemacht. Das Zeugs ist nach Angaben von UHU bei 60°C löslich, so hielt ich mir die Möglichkeit offen, den Schlauch bei Misslingen wieder entfernen zu können. Ich habe also von vorn einen passenden Bohrer ins Innere gebracht, den Schlauch unten mit UHU benetzt und über den Bohrer als Führung an die richtige Stelle gebracht. Bis jetzt hält meine Lösung, ob der Kleber auf Dauer an der sehr kleinen Stelle, wo er mit Tinte in Berührung kommt, der Dauerfeuchtigkeit standhält, muss sich zeigen, andernfalls werde ich anderen Kleber benutzen. Zumindest weiß ich jetzt, wie ich mir helfen kann.

Mein Tipp zur Reparatur: Bei der Feder anfangen! Falls sie festsitzt, wässern, mit dem Fön anwärmen, herausdrehen. Anschließend mit spitzem, schlankem Werkzeug - eventuell vom Zahnarzt - durch das Griffstück hindurch die Tintensackreste !vorsichtig! herausbefördern, um die Druckstange nicht zu beschädigen. Auch hier kann vorheriges Wässern helfen, ein Otoskop oder anderes Gerät, mit dem man in den Schaft blicken kann, ist auch nicht verkehrt.

Wässern am besten, indem man am oberen Ende alles mit Klebeband o.ä. verschließt, den Füller per Pipette mit Wasser füllt und senkrecht, das offene Griffstück nach oben, lagert. Ich lege besonderen Wert auf diese Prozedur, weil mir nach zweitägigem Wässern des kompletten Schafts sich dieser durch Rückstände alter Tinte grün verfärbt hatte. Ihr könnt euch denken, welche Seelenqualen ich durchgemacht habe, bis ich schließlich merkte, dass diese Verfärbung zum Glück nur äußerlich war und mit Polieren entfernt werden konnte!

Erst wenn die Druckstange völlig frei von Schlauchresten ist, kann man den oberen Verschluss - im Foto mit den zerlegten Teilen oben links neben der Feder - samt Druckstange herausdrehen, somit kann sie sich nicht verbiegen.

Dann genügt ein Blick in den Schaft auf besagten Kragen, der muss eventuell auch noch von Schlauchresten befreit werden, um einen neuen einsetzen zu können. (Schließlich ist meine Variante ja nur eine Notlösung, wenn auch voll funktional.) Diese Prozedur hier zu beschreiben erspare ich mir, die Reparatur ist sowieso nur etwas für mutige und erfahrene Bastler, und die wissen schon selbst, wie sie den passenden Schlauchdurchmesser, dessen Länge und Bezugsquellen ermitteln. Für Fragen bin ich aber jederzeit offen.

Eine letzte Anmerkung zum Vacumatic und dessen Abarten: Ich besitze einen Osmia Supra 194, der mit leichten Abwandlungen der Mechanik dem Parker am nächsten kommt. Hier existiert am hinteren Ende ebenfalls eine Art Stößel, der einen innenliegenden, umgestülpten Tintensack bei Druck zum Griffstück hin ausdehnt, um beim Zurückfahren Tinte aufzunehmen.


Bild


Aber wer nun eher da war, die Henne oder das Ei bzw. Parker oder Osmia, weiß ich nicht . . .

Und nun - gutes Gelingen, wer immer sich am Wertfüller 36/50 versuchen mag!

P.S. Ach ja, und beide - sowohl der Castell als auch der Osmia - haben traumhaft flexible Federn . . . :P
Grüße von Klaus!
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Pennino
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Re: Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von Pennino »

:shock: :shock: :shock:

Großartig, Klaus !!!

Grüße,
Pennino
" Il pennino è l'anima di una penna stilografica "
att skriva
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Registriert: 04.01.2012 22:57

Re: Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von att skriva »

Hallo Klaus,

herzlichen Dank für Dein Türchen im Adventskalender und Deine ausführliche Darstellung der Reparatur-Knackpunkte hier. Der Wertfüller ist ein sehr interessanter alter Füller.

Wie Pennino schon schrieb: Großartig!

Ich habe wieder etwas dazu gelernt :-) Danke!

Viele Grüße
Michael
newlife
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Re: Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von newlife »

Nachtrag!

Dank einer netten Gabe von stift / Harald aus Wien klärt sich nun auch die Frage, wie Castell sich das Auswechseln von defekten Gummischläuchen vorgestellt haben muss. Harald hat mir einen defekten Wertfüller geschickt, leider von wem auch immer etwas ungeschickt zerlegt bzw. unbrauchbar gemacht. Zur Reparatur müsste ich den Umgang mit der Drehbank beherrschen, tu ich aber nicht. :(

Hier ein Foto des Innenlebens, es zeigt das abgetrennte Griffstück UND den dazugehörigen Schaft, der sich im Innern verborgen hielt, den ich auch mit Einweichen und Wärmebehandlung nicht heraus bekommen hatte.


Bild


Rechts sieht man recht gut die Stelle, wo über das verjüngte Stück der Schlauch geklebt wird. Hat man erst mal das Griffstück intakt aus dem äußeren Schaft befreit, ist alles weitere kein Problem mehr. Schlauch auf passende Länge stutzen, festkleben, einsetzen, fertig! Mir ist nur schleierhaft, was Castell für einen Klebstoff verwendet hat. Normalerweise hätte es ausschließlich Schellack sein dürfen; vielleicht war ich zu ungeduldig, vielleicht war der innere Schaft auch in voller Länge verklebt und nicht nur in Nähe des Griffs. Und wenn man es gewöhnt ist, dass nur das kurze Griffstück selbst erwärmt und gelöst werden muss, passiert so etwas halt, da das Innere nicht einsehbar ist. Nun, jetzt wissen wir mehr! Und nun werde ich mir Gedanken machen müssen, wer mir ein solches Hartgummiteil drehen kann . . . :? Es wäre doch zu schade, wenn der ansonsten unbeschadete Rest des Füllers nicht wieder zum Leben kommen sollte . . .
Grüße von Klaus!
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Andi36
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Re: Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von Andi36 »

Hallo Klaus,

hast Du schon mal an Francis gedacht? Der kann das bestimmt :-) und verfügt auch über die notwendige Gerätschaft.

Viele Grüße,
Andreas
Don't feed the troll.
minimax
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Registriert: 29.05.2008 8:23

Re: Castell Wertfüller 36/50

Beitrag von minimax »

Drehbank habe ich, kann ich.
Nur falls mal Bedarf (in Berlin).
PS der Wertfüller fehlt mir noch. Suche noch nach einem defekten...

Gruß André
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