Leidensgeschichte eines M800

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Wolf314
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Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

Es war einmal ... :)

... ein schwarz-grüner M800 F, den ich zwar gebraucht erwarb, der allerdings vom Neuzustand nicht zu unterscheiden war. Das Schreiben mit ihm war so angenehm, dass ich mich entschloss, ihn als täglichen Arbeitsfüller für meine letzten drei Berufsjahre mit blauer Tinte zu verwenden. Weitere Arbeitsfüller waren ab diesem Zeitpunkt ein M600 F mit roter Tinte sowie ein M200 F mit schwarzer Tinte. Anfangs verwendete ich dafür Pelikan 4001 Königsblau, Brillant-Rot und Brillant-Schwarz. Später wechselte ich auf Tinten mit intensiveren Farben, nämlich J. Herbin 1670 Bleu Océan (mit Silberglitzer), J. Herbin 1670 Rouge Hématite (mit Goldglitzer) und Edelstein Onyx. Wäre ich in der beruflichen Hierarchie höher angesiedelt gewesen, hätte ich zusätzlich eine intensive grüne Tinte auszusuchen gehabt.

Mit dem M800 schrieb ich häufig kurze Notizen, allerdings auch seitenlange Konzepte. Die Notizen verfasste ich stets rasch nebenbei, musste also die Kappe schnell ab- und dann wieder aufschrauben. Überraschenderweise hinterließ dies im Laufe der drei Jahre lediglich Mikro-Schleifspuren am Schaft, die nur bei konzentriertem Betrachten bemerkbar sind. Das anfangs vorhandene Klicken der Feder verschwand relativ bald. Die Feder schien sich langfristig aber auch in anderer Weise irgendwie verändert zu haben: sie glitt spürbar leichter über das Papier, so als ob meine persönliche Schreibhaltung darauf Einfluss genommen hätte. Davon habe ich schon öfters gelesen, erklären kann ich es mir aber nicht, da ja mit der sehr harten Iridiumspitze geschrieben wird. Handelt es sich nur um eine kognitiv verzerrte Wahrnehmung? Vielleicht kann mich hierzu ein Mitforist aufklären.

Dennoch gab es Verschleiß!
(V1) Die eingeschraubte Federeinheit lockerte sich mit der Zeit und ließ sich nicht mehr fest in den Schaft drehen. Meine Vermutung ist, dass ich unbewusst beim Schreiben stets zu fest aufgedrückt habe und dadurch das Schraubgewinde aus Kunststoff beschädigt wurde.
(V2) Ähnliches geschah mit dem Schraubgewinde der Kappe, wohl aus ähnlichem grobmotorischen Grund. Nach drei Jahren saß die Kappe nicht mehr fest, wenn sie auf den Schaft geschraubt wurde, sondern drehte im Gewinde ohne Ende. (Seither schraube ich Füllerkappen ganz bewusst eher zu locker auf ihre Schäfte.)

Meine Lösungen:
(L-V1) Das Gewinde der Federeinheit habe ich einfach mit Klebstoff versehen und in den Schaft eingedreht. Nun lässt sie sich zwar nicht mehr auswechseln, was mich aber nicht im Geringsten stört. Zu diesem Zeitpunkt war der Füller sowieso schon beschädigt worden (siehe U1 und U2 weiter unten), deswegen zögerte ich nicht lange.
(L-V2) Ein guter "Freund" half mir - wie so oft in meinem Leben - zu entdecken, dass ein Tauschen der Kappe mit der eines anderen in meinem Besitz befindlichen M800 dazu führte, dass beide Füller wieder in normaler Weise geschlossen werden konnten. Vielen anderen Menschen hat dieser Freund übrigens auch schon geholfen, wahrscheinlich auch den geschätzten Mitforisten, so dass er hinlänglich bekannt sein dürfte. Für diejenigen, die jetzt noch nicht auf seinen Namen gekommen sind: es ist Reiner Zufall.

Nun möchte ich ein wenig bei Wahrscheinlichkeiten verweilen, die im Folgenden eine Rolle spielen. Es gab nämlich neben erwähntem Verschleiß leider auch Unfälle.
(U1) Souveräne von Pelikan ohne aufgesetzte Kappe sind schön rund, was haptisch überaus angenehm ist. Andererseits rollen sie weg, wenn man dagegen stößt - leider auch, wenn das unabsichtlich passiert! Und Tische, auf denen sie abgelegt sind, haben häufig Kanten ohne hochstehende Ränder, die die Rollbewegung aufhalten könnten ...
Wie trifft ein fallender wertvoller Gegenstand am wahrscheinlichsten am Boden auf? Fragen wir doch einfach Mr. Murphy! Als der schmerzhafte Augenblick des Aufpralls vorbei war, konnte ich eine verbogene Federspitze erkennen.
(U2) Als ich einmal in der Nähe eines (mehr oder weniger) vorgesetzten Kollegen saß, bat er mich um meinen Füller, um etwas zu notieren. Sagt man da zum Vorgesetzten so etwas wie "Einen Moment, ich hole nur eben schnell einen Bleistift aus meiner Tasche"? - eben.
Wie versucht wohl jemand, der bisher nur mit Schulfüllern geschrieben hat, die Kappe abzunehmen? Nun, jeder weiß, was Mr. Murphy dazu meint. Immerhin war der Kollege sehr betreten, als er mir die zwei Füllerteile entgegenhielt. Er hatte die Kappe mit dem Schaftgewinde vom Teil mit der gestreiften Binde abgerissen. Glücklicherweise war der Füller praktisch leer, so dass sich keine Tinte aus der Bruchstelle ergoss - mhhh, sollte ich besser "Leider" statt "Glücklicherweise" schreiben?
Bruchstelle ist aber nicht der richtige Begriff, denn es sah vielmehr wie eine Klebestelle aus. Übrigens: Seitdem habe ich auch ohne gesetzlichen Zwang immer einen gewissen Mindestabstand zu Vorgesetzten eingehalten.

Meine Lösungen:
(L-U1) Hätte ich die Feder zum Reparaturdienst von Pelikan einschicken sollen? Zugegeben, das wäre das Vernünftigste gewesen. Aber welcher Mensch handelt schon immer und jederzeit vernünftig? Also nahm ich eine Flachzange und näherte sie der Feder ... "And guess what?" --> Die Feder schrieb wieder wie zuvor!
(L-U2) Statt den demolierten Füller in Stücken zu Pelikan zu senden, habe ich sie unter fließendem Wasser ausgewaschen, getrocknet und nach kurzem Zögern mit üblichem Klebstoff zusammengefügt. Es blieb allerdings ein unübersehbarer schmaler Spalt zwischen Binde und Gewinde (wie schön, dass sich das reimt), der der Funktionalität des ehemals aufgebrochenen Füllers jedoch keinen Abbruch ;) tut.

Nun höre ich aber lieber mit Schreiben auf, bevor ich mich in solchen Wortspielereien verliere. Heute befindet sich der Füller nach diesem zwar kurzen, aber harten Arbeitsleben in wohlverdienter Ruhe in der dafür vorgesehenen Pelikan-Schatulle. Und wenn er nicht gestorben ist ... dann wird er auch in Zukunft dort sein.
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hoppenstedt
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von hoppenstedt »

:lol: Gut geschrieben & so nachvollziehbar!
Danke für die Einblicke :)

DESAFINADO!

Grüße von Alfred
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Wolf314
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

Ich danke vielmals für das Lob aus berufenem Munde, welches mir in diesem kultivierten Forum viel bedeutet. Nur allzu selten kann ich mit umfangreicheren Geschichten dienen, deren kreative sprachliche Gestaltung mir bei Weitem auch nicht immer gelingt.

Nebenbei noch eine kleine Ergänzung: Besagter M800 befindet sich nur deshalb in der Schatulle, weil das Bessere wieder einmal der Feind des Sehr-Guten ist. Statt des M800 benutze ich nun nämlich hauptsächlich meinen schwarzen Lieblingsfüller M1000 F, befüllt mit Edelstein Onyx. Weil in meinem Ruhestand Vieles tatsächlich viel ruhiger zugeht, geschieht dies in wesentlich schonenderer Weise als es im Beruf möglich gewesen ist.
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hoppenstedt
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von hoppenstedt »

:lol: Perfekt!
Meine Arbeitstiere sind ein Lamy 2000 OM (Lamy Obsidian), ein M805 F (PEdelstein Sapphire) und -!- ein schwarzer M1000 B, befüllt mit -!- PEdelstein Onyx :idea:

Allerdings kommen die alle schon gleichberechtigt „an die Luft“ ;)
Es gibt also Parallelen…

DESAFINADO!

Grüße von Alfred
K15
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von K15 »

Wolf314 hat geschrieben:
26.03.2022 21:39
Die Feder schien sich langfristig aber auch in anderer Weise irgendwie verändert zu haben: sie glitt spürbar leichter über das Papier, so als ob meine persönliche Schreibhaltung darauf Einfluss genommen hätte. Davon habe ich schon öfters gelesen, erklären kann ich es mir aber nicht, da ja mit der sehr harten Iridiumspitze geschrieben wird. Handelt es sich nur um eine kognitiv verzerrte Wahrnehmung? Vielleicht kann mich hierzu ein Mitforist aufklären.
Lieber Wolf,

dieses Einschreiben habe ich auch schon mehrfach erlebt. Ich schreibe gerade mit einem Füller, der in meinen Händen anfangs etwas kratzig war und der jetzt ganz sanft gleitet. Nach einigen vollgeschriebenen Collegeblöcken. Der Füller hat jetzt ein völlig anderes Schreibgefühl. Etwas schade, denn eigentlich mochte ich das kratzige Feedback :D

Iridium ist hart, aber nicht unzerstörbar. Und Papier hat eine deutliche Schleifwirkung. Es ist völlig natürlich, dass sich Füllerfedern einschreiben lassen.

Viele Grüße Daniel
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Wolf314
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

hoppenstedt hat geschrieben:
27.03.2022 5:18
(...) ein M805 F (PEdelstein Sapphire) und -!- ein schwarzer M1000 B, befüllt mit -!- PEdelstein Onyx
Das ist ja unglaublich! Auch ich benutze neben dem M1000 F regelmäßig einen weiteren Souverän (für Schreiberfordernisse außer Haus). Dieser ist ein M805 B Stresemann, befüllt mit Edelstein Amethyst. Wir stimmen also in den beiden Füllhaltertypen überein, in der Federkombination F/B und in der Tintenserie für die Befüllung. Da wird wieder einmal mein Freund Reiner seine Hände im Spiel gehabt haben, weil andere Füller ebenfalls zur Befüllung bereit gelegen hätten. 8-)
K15 hat geschrieben:
27.03.2022 8:40
Iridium ist hart, aber nicht unzerstörbar. Und Papier hat eine deutliche Schleifwirkung. Es ist völlig natürlich, dass sich Füllerfedern einschreiben lassen.
Hier kommt mir spontan der Spruch "Steter Tropfen höhlt den Stein" in den Sinn. Danke schön für die Erklärung! Dennoch finde ich es ausgesprochen überraschend, dass das Einschleifen so schnell passieren kann.
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hoppenstedt
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von hoppenstedt »

Lieber TS, zum Sonntag und zur Zeitumstellung der dringende Appell, deinen schönen 800er doch wieder artgerecht zu nutzen ;)
Er ist es wert; ich schätze bekanntlich die Montblancs (trotz mancher Differenzen) sehr, aber genauso den komplementären besonderen Charakter der Pelikane - und die 80x Serie ist eine perfekte Applikation für den Alltag. Genau die richtige Mischung aus Zuverlässigkeit und Dezenz und zurückhaltender Eleganz. Immer gern gesehen.

DESAFINADO!

Grüße von Alfred
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Wolf314
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

Wolf314 hat geschrieben:
27.03.2022 10:27
(...) weil andere Füller ebenfalls zur Befüllung bereit gelegen hätten.
Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht nutzen wollte. Wie oben angedeutet, wollen andere Füller (alles Pelikane) auch zum Einsatz kommen. Und weil ich nicht mehr viel mit Tinte schreibe, sollte ich nur wenige mit Tinte befüllt lassen.
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V-Li
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von V-Li »

Persönlich bin ich ein Verfechter des Schreibens von Stiften und nicht des Sammelns. Insofern hat zwar dein Stift übermässig viel erlitten, aber hat gelebt.
Zuletzt geändert von V-Li am 27.03.2022 13:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Wolf314
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

V-Li hat geschrieben:
27.03.2022 12:48
(...) übermässig viel erlitten, aber hat gelebt.
Das scheint mir eine sehr passende Beschreibung zu sein.
(Leider trifft sie ja auch auf viele Lebewesen der Erde zu.)
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Prillian »

Da wollte ich eigentlich „nur“ einen Rat bzgl. einer Reparatur und bekomme eine erfrischende „Selbsthilfegruppe“ zum Wohlfühlen. Ihr seid spitze! Wunderschön geschrieben die Geschichte mit dem M800. Genauso hätte es mir passieren können, wenn mich das Forum nicht davor bewahrt hätte. Na, der Spaß wäre es eigentlich wert gewesen ;) .

Auch ich habe umgesattelt auf den M1000 (meist mit smoke on the water gefüllt) und der M800 fristet ein Schubladendasein. Ist der M1000 das Ende der Fahnenstange? Ein neu erworbener Montblanc 149 konnte ihn zumindest nicht vom Throne stoßen.
Volle Grüße eingeschenkt - Oliver
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Wolf314
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Re: Leidensgeschichte eines M800

Beitrag von Wolf314 »

Prillian hat geschrieben:
21.07.2023 19:54
Ist der M1000 das Ende der Fahnenstange?
Die Antwort darauf ist selbstverständlich ...
... subjektiv! Für mich ist dem so, wenngleich eine farbenfrohe Ausführung bereits eine weitere Steigerung darstellt.
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