Meiner Ansicht nach kommen alle Tinten der 1670er Serie aus diesem Dilemma nicht heraus, was natürlich zu allererst an den Goldpartikeln liegt, die den Tinten beigemischt sind. Aber dieser Gedanke führt ins Allgemeine und weg von "Gris orage". Also zurück an den Anfang:
Wenn ich mich recht erinnere, brachte Herbin "Gris trage" um den Jahreswechsel 2014/2015 heraus, worauf ich mir, als eingeschworener Liebhaber der "Rouge hématite" (wäre sie bloß blauschwarz und ohne Goldpartikel!), sofort ein Glas besorgte. Schon die Verpackung fand sich sehr schön und für das Sturm- und Schifffahrtsthema sehr stimmig: Das Erkennungszeichen der Tinte ist das Herbin-Schiff in grau, auf der weißgrundigen Verpackung herum maritime Motive: Anker, Fernglas, Kapitänshut, Palmen, Sterne, Schiffe, Steuerrad, Seepferdchen, Muscheln usw. in silberner Prägung.
Zusammen mit dem silbernen Dekobändchen und den klassisch-viereckigen Flakon mit dem grauen Häubchen aus und dem grauen 1670er Sigel könnte man auf den Gedanken verfallen, dass die Partikel nicht golden sondern silbern sind. Ist aber nicht so, was ich wirklich schade finde, das sei hier schon vorweg gesagt. Denn silberne Partikel hätten das Gesamtarrangement stimmiger gemacht und den einen störende - und zwar den prahlerischen - Akzent vermieden und aus dieser Tinte etwas wirklich besonderes gemacht: Eine elegante Interpretation eines dramatischen, maritimen Themas.
In meiner Probe dieser Tinte, die Ihr in meinem muggle shot seht, wird ganz deutlich, was ich damit meine, und das bestimmt meine Betrachtung ganz erheblich und meinen Gebrauch ebenfalls: Das Grau ist ein eher dunkles, das ein breites Spektrum bietet, aber es wird durch die Goldpartikel bei nasserem Auftrag erschlagen. Je nasser der Auftrag desto massiver die Goldeinwirkung. Das lässt sich, wie bei den 1670er Tinten allen, nur dadurch vermeiden, dass man sie vor dem Betanken der Füller wenig oder gar nicht schüttelt, sodass die Goldpartikelmenge gering ist. Aber ist das Sinn der Sache? Ich habe mich dazu entschieden, dass ich immer schüttle, dann kurz stehen lasse und dann betanke. Aber, wie Ihr seht, das schützt auch nicht immer vor massiver Partikelpräsenz. Dabei ist es eigentlich sogar ganz gut, wenn der Füller bei dieser Tinten schön nass schreibt, ja, wegen des shadings. Aber auch wegen des Füllers selbst, denn bei dieser Tinte, zumindest bei meinem Fläschchen, neigen die tintensparenden Füller zur Verstopfung. Standardmäßig befülle ich einen Kaweco Sport ICE in Grau mit feiner Edelstahlfeder mit "Gris orage", der kommt ganz gut klar mit ihr, wenn ich beim Tanken aufpasse und viel schreibe. Andernfalls gibt es Probleme. Bei Noodler's Tintenwerfer Ahab stellen die sich erwartungsgemäß gar nicht ein.
Jetzt könnte hier der Eindruck entstanden sein, dass ich diese Tinte überhaupt gar nicht empfehlen und sogar implizit von ihrer Verwendung abraten würde. Weit gefehlt! Sie ist in meinem Standardtintenrepertoire und besetzt dort trotz aller Vorbehalte einen wichtigen und notwendigen Platz. Denn es ist meine Tinte, mit der ich jetzt schon in drei Jahren meine Weihnachtspost geschrieben habe. Für mich habe ich den Eindruck, dass diese Tinte zu Weihnachten, zur Weihnachtszeit, zum Jahreswechsel und zum Advent passt. Das hat in der Tat auch ganz erheblich etwas mit dem Gold zu tun. Und, trotz reicher Tintenimpressionen, -diskussionen und -lektionen, die ich hier im Forum in diesem Jahre erfahren habe, werde ich mit ihr auch in diesem Jahre wieder auf meine Weihnachtsgrüße auf das Papier bringen.
- Herbin Gris orage
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