Mangelndes Finish heute?

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karlk
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Mangelndes Finish heute?

Beitrag von karlk » 24.08.2018 22:31

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe in den letzten zwei Jahren einige Füllfederhalter gekauft und war eigentlich bei keinem mit dem Schreibverhalten wirklich zufrieden. Manche gingen zurück, manche wurden nachbearbeitet (poliert).

Vor zwanzig und dreißig Jahren war das ganz anders:
da schrieben Caran, Waterman und Parker völlig problemlos, wenn sie erst einmal mit Tinte gefüllt waren.
In der Gegenwart habe ich schon Probleme mit dem Anschreibverhalten der renommierten Marken,
nicht jedoch bei Wing Sung (um 2, 91 Euro - das mußte ich einfach ausprobieren) oder TWSBI, also
Stahlfederfüllern, das will ich auch dazu sagen.

Wenn ich einen relativ teuren Stift erst aufwendig nachpolieren soll, oder unpassige Federschenkel mit dosierter Hitze austarieren muß, dann läuft doch da im Finish was schief (auf den ersten Blick mangelhafte, offenbar Retourware retourniere ich, das ist aber ein anderes Problem).

Sind wir alle so anspruchslos geworden und die Hersteller so ignorant? Wenn ich - in alter Währung - 500 DM ausgebe, hätte ich doch das Recht auf ein annähernd perfektes Schreibgerät - oder sehe ich da was falsch?

Liebe Grüße,
Karl

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bella
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von bella » 24.08.2018 22:38

Sind wir alle so anspruchslos geworden
Ich glaube andersrum wird (auch) ein Schuh draus .....
Wir waren vielleicht auch früher (früher heißt als wir uns noch nicht mit Füllern intensiv beschäftigt haben) anspruchsloser .....

Da haben wir nämlich noch nicht zu jeder Feder x YouTube Videos geschaut, reviews gelesen und um Schreibproben gebeten....und damit immense Erwartungen aufgebaut ...

und Federn waren, selbst probegeschrieben im Laden auch ok oder schlecht .....
ich erinnere mich an drei Versuche zwischen 198x und 200x mit Waterman Laureat .... alle grottig, aber nur zuhause :D
Im Laden waren sie DIE Erfüllung

karlk
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von karlk » 24.08.2018 23:04

Bella,

stimmt schon irgendwie: man war insgesamt weniger anspruchsvoll.
Aber mein erster Lamy (Goldfeder, cp1 (Vorläufer?)) surfte ganz sanft über das Papier und ein späterer Caran Madison dann ebenso (vielleicht noch mehr) - völlig mühelos und ohne jedes nachbearbeitende Zutun.
[Übrigens, Youtube-Videos zu Füllfederhaltern sehe ich mir nicht an.]
Karl

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Tenryu
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Tenryu » 24.08.2018 23:55

Ich denke, einige etablierte Hersteller werden bald schon arg deppert aus der Wäsche schauen. Früher konnten sie sich eine mittelmäßige Qualität leisten. Aber wehe wenn die Chinesen auf den europäischen Markt drägen!
Mit den Lususschreibern können sie heute noch nicht konkurrieren. Aber bei den günstigen bis mittelpreisigen sind sie konkurrenzlos. Wer würde sich noch um 15 € einen Waterman Kultur kaufen, wenn er für 2 € einen mindestens gleichwertigen oder noch besseren Jinhao 991 (inkl. Konverter) bekommt?

Ich finde, wir sind zurecht anspruchsvoller geworden. Wenn ein Billigfüller für unter 5€ monatelang dicht bleibt und sofort anschreibt, wieso sollte ich bei einem Markenfüller für 50€ akzeptieren, daß er nach 3-4 Tagen Nichtbenutzung schmiert und stottert? Da ich mir nicht vorstellen kann, daß ein etablierter Hersteller zu doof ist, ein technisch besseres Produkt zu designen, kann es nur an Gleichgültigkeit liegen. Die Leute kaufen den Mist (noch), wozu etwas verbessern?

Die Geschichte wiederholt sich. Dasselbe erlebten die europäischen Autobauer, die Kamerabauer, die Uhrenindustrie in den in den 70ern und 80ern als die Japaner kamen, die mit starker Automatisation und Fertigungsqualität, und niedrigen Preisen den Markt aufmischten.

agathon
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von agathon » 25.08.2018 0:22

Tenryu hat geschrieben:
24.08.2018 23:55
[...] wieso sollte ich bei einem Markenfüller für 50€ akzeptieren, daß er nach 3-4 Tagen Nichtbenutzung schmiert und stottert?
Das ist mir aus der Seele gesprochen! Gerade in der Anfangszeit meiner Fülleransammelei ist mir das recht häufig begegnet. Daher mache ich mittlerweile seit vielen Jahren um derlei maßlos überteuertes und unsolides Zeug einen meilenweiten Bogen.

Grüße

agathon

Thom

Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Thom » 25.08.2018 1:32

Tenryu hat geschrieben:
24.08.2018 23:55
Die Geschichte wiederholt sich.
Die wichtigsten deutschen Handelswaren des Exportes sind: Kraftwagen und Kraftwagenteile, Maschinen, Chemische Erzeugnisse
(in der Reihenfolge). Mit Füllern wären wir schon längst blank.

V.G.
Thomas

lion
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von lion » 25.08.2018 10:31

Karl,
Deinem Unbehagen und Unverständnis kann ich mich nur anschließen. Über die Gründe, die zu dieser (gefühlten ?) Qualitätsverschlechterung geführt haben, bin ich mir nicht sicher. Da ist sicher auch der Druck zu spüren, immer schneller immer mehr Neuigkeiten auf den Markt zu werfen.
Vielleicht sind wir "Luxus"-Verbraucher aber auch zu gutmütig. Wer sich einen Füller für mehr als 300 Euro leisten kann, dem tun 40 Euro für eine Nacharbeit oder kleine Reparatur nicht so weh :? . Wenn ich preiswert einen Füller kaufe, investiere ich sicher nicht noch einmal den Anschaffungspreis in eine Reparatur und lasse in Zukunft die Finger von der Marke. Wobei, ob die Strategen da so kompliziert denken?? Wer weiß :roll:
Gruß,
Sebastian
Es ist eine Dummheit, sich von hier fortzusehnen, die meisten Anstalten sind noch schlechter. György Konrád

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Edelweissine
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Edelweissine » 25.08.2018 11:03

lion hat geschrieben:
25.08.2018 10:31
Wenn ich preiswert einen Füller kaufe, investiere ich sicher nicht noch einmal den Anschaffungspreis in eine Reparatur und lasse in Zukunft die Finger von der Marke.
Wenn ich Deine Überlegungen mal weiterführe:
Wenn ein Füller viel Geld gekostet hat, gebe ich ihn nicht so schnell auf und probiere, ihn reparieren oder ändern zu lassen, wenn ich mit ihm nicht klar komme. Kostet das viel Geld, kehre ich möglicherweise nicht zu dieser Marke zurück, und es bleibt beim einmaligen Kauf. Ist das Service und wird freundlich und kostenlos für mich ausgeführt, ist das die beste Form der Kundenbindung.

Bei einem preiswerten Schreibgerät aber lohnt sich oft die Reparatur nicht, und es wandert schnell in den Müll. Das ist gut für die Wirtschaft, schlecht für die Umwelt und fatal für den Hersteller, der mich so schnell nicht wiedersieht.
Gruß,
Heike

agathon
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von agathon » 25.08.2018 11:28

Edelweissine hat geschrieben:
25.08.2018 11:03

Wenn ich Deine Überlegungen mal weiterführe:
Wenn ein Füller viel Geld gekostet hat, gebe ich ihn nicht so schnell auf und probiere, ihn reparieren oder ändern zu lassen, wenn ich mit ihm nicht klar komme. Kostet das viel Geld, kehre ich möglicherweise nicht zu dieser Marke zurück, und es bleibt beim einmaligen Kauf. Ist das Service und wird freundlich und kostenlos für mich ausgeführt, ist das die beste Form der Kundenbindung.

Bei einem preiswerten Schreibgerät aber lohnt sich oft die Reparatur nicht, und es wandert schnell in den Müll. Das ist gut für die Wirtschaft, schlecht für die Umwelt und fatal für den Hersteller, der mich so schnell nicht wiedersieht.

Ärgerlich ist halt die Angelegenheit in der Region zwischen 50 und 100 Euro. Da weiß man dann nie so genau, was man machen soll. In gewisser Weise ist da der Schaden zumindest gefühlt am Größten.

Grüße

agathon

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HeKe2
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von HeKe2 » 25.08.2018 12:06

lion hat geschrieben:
25.08.2018 10:31
Karl,
Deinem Unbehagen und Unverständnis kann ich mich nur anschließen. Über die Gründe, die zu dieser (gefühlten ?) Qualitätsverschlechterung geführt haben, bin ich mir nicht sicher. Da ist sicher auch der Druck zu spüren, immer schneller immer mehr Neuigkeiten auf den Markt zu werfen.
Vielleicht sind wir "Luxus"-Verbraucher aber auch zu gutmütig. Wer sich einen Füller für mehr als 300 Euro leisten kann, dem tun 40 Euro für eine Nacharbeit oder kleine Reparatur nicht so weh :? . Wenn ich preiswert einen Füller kaufe, investiere ich sicher nicht noch einmal den Anschaffungspreis in eine Reparatur und lasse in Zukunft die Finger von der Marke. Wobei, ob die Strategen da so kompliziert denken?? Wer weiß :roll:
Gruß,
Sebastian
Wenn ich mir so meine Schreibwerkzeuge von vor 40 Jahren und ihr Schreibverhalten ansehe, bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob damals wirklich alles besser war. Ich tendiere eher zu bellas Meinung, dass sich unser Blickwinkel verändert hat. Füller sind zu einem Luxusgut geworden, um nicht gleich das Wort Statussymbol zu verwenden, und damit sind unsere Ansprüche gestiegen. Natürlich ist der Anspruch an einen Gegenstand abhängig vom Anschaffungspreis und selbstverständlich haben es Produkte aus heimischer Produktion da schwerer. Es ist einfach, von einem wohl gefüllten deutschen Geldbeutel aus auf günstige Preise aus China zu schielen. Da könnte man jetzt zehn neue oder auch alte Fäden aufmachen zu Arbeitsbedingungen, Umweltschutz, Gehältern, Effektivität, Nachhaltigkeit usw. und am Ende fragen, was das alles mit der Qualität des Produktes zu tun hat. Wenig, aber sicherlich wirkt es sich auf den Preis aus. Ja, die Geschichte wiederholt sich, nur diesmal wird sie sich auch in der Verwaltung wiederholen und dort zu Auslagerungen führen. Und Kopien sind immer einfacher und günstiger herzustellen als Originale.

Warum führe ich das so weit aus?
Weil ich finde, das ein Füller ein sehr individuelles Schreibwerkzeug ist. Er muss und musste schon immer eingeschrieben werden. Insofern verwundert mich eine Beschwerde über zunächst schlechtes Schreibverhalten etwas. Das hat für mich nur sehr wenig mit mangelnder Qualität zu tun. Es ist eher verwunderlich, wenn ein von Beginn an perfekt zu jeder Hand und jedem beliebigen Federwinkel zum Papier und zur Schreibrichtung passt. Die Chinesen erreichen das in der Regel mit recht feinen, nagelharten Kugelfedern ohne jede Linienvarianz. Sowas finde ich persönlich langweilig. Bei groben Fehlern sehe ich das etwas anders, aber die kommen doch wirklich recht selten vor. Die Kleinigkeiten, insbesondere im Bereich der Federoptimierung sollte man, vielleicht bis auf einen nicht gut funktionierenden Tintenleiter, selbst hinbekommen. Beim Preis selbst muss sich jeder selbst fragen, warum er wieviel Geld für was ausgibt und inwieweit er/sie mit seinem/ihrem Gehalt selbst für entsprechende Preise sorgt.
Beste Grüße
Hermann

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Killerturnschuh
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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Killerturnschuh » 25.08.2018 13:38

Bella du hast so recht.

viele Probleme sind hausgemacht, andererseits publizieren wir heute im Netz natürlich auch alles ....diese Sprüche alla "Früher war alles besser" entspringen zu einem Gutteil rein subjektiver Wahrnehmung. Vielleicht wurde um vieles nur nicht so ein Theater gemacht, wie wir es heute tun.

Da hatte der Fachhändler stets etliches an Ersatzteilen in der Schublade und man hat vor Ort mal schnell eine Feder getauscht, nachjustiert oder über Schleifpapier angepasst, wie mir erst jüngst zwei ältere Kollegen erzählten.

Darüber hinaus sind auch früher nicht unzählige Füller alle grundlos in den Tiefen der Schubladen verschwunden um vor sich hin zu schlummern, könnte ich mir vorstellen.

Abgesehen davon halte ich jeden für einen Dummkopf der den Umstand das ein Füller - egal ob er nun 10 € oder 1000€ kostet - ordentlich schreibt als nice to have, statt als selbstverständlich Voraussetzung betrachtet.
Salve

Angi

"Don't believe everything you read on the Internet!"
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Drummer, Metallica

Thom

Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Thom » 25.08.2018 16:41

HeKe2 hat geschrieben:
25.08.2018 12:06
Wenn ich mir so meine Schreibwerkzeuge von vor 40 Jahren und ihr Schreibverhalten ansehe, bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob damals wirklich alles besser war.
Alles war vermutlich nicht besser, aber "damals" endet für mich in diesem Kontext vor ca. 70 Jahren. Und da brauche ich gar nicht lange nachzudenken, ob die Füller besser waren. Z.Zt. bin ich, wegen der Tintenstabilitätstests, vom Mabie Todd 6260 auf den transparenten J.Herbin umgestiegen. Der ist Made in Taiwan und funktioniert prima, allerdings kann er dem Mabie Todd nicht wirklich die Tinte reichen und 70-80 Jahre wird der nicht funktionstüchtig durchhalten, der momentan dichte Kappenmechanismus bei regelmäßiger Nutzung noch nichtmal 10 Jahre.

V.G.
Thomas

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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von karlk » 26.08.2018 20:05

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ein Füller muß eingeschrieben werden - dies (e Ausrede) hat wohl für die Schulfüller der 60er, 70er Jahre gegolten, die mit weiten Toleranzen hergestellt wurden und die man daher ausprobieren mußte.

Als Berufstätiger in den 80er Jahren schrieb man nicht mehr mit Schulfüllern, sondern mit der Mittelklasse, die man vor dem Kauf meist ausprobierte (den elektronischen Versandhandel gab es nicht), und die meiner Erfahrung nach stets problemlos waren. In den letzten Jahren (oder ein, zwei Jahrzehnten) wird meiner Meinung nach, auch in der oberen Mittelklasse, bei Goldfedern, schlampiger gefertigt.

Ich erwarte mir bei preiswerten Stiften, daß sie problemlos schreiben, bei solchen mit Goldfedern, daß sie annähernd perfekt schreiben (und die Fragen zum Papier, zur Tinte und zur Handhaltung sind mir mittlerweile schon bewußt, keine Sorge...).

Liebe Grüße,
Karl

Thom

Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von Thom » 26.08.2018 21:04

Ich muss allerdings zur Ehrenrettung der preiswerten Stifte sagen, preiswerte Stifte und preiswerte Stifte bei ebay ist nicht immer dasselbe. Ebay ist eine Handelsplattform auf der fast alles verkauft werden kann. Das Problem, das sich daraus ergibt, ist
dass es auch wird.

V.G.
Thomas

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Re: Mangelndes Finish heute?

Beitrag von karlk » 26.08.2018 23:06

Caveat Emptor!
Sagten schon die Lateiner.
(Ich nehm übrigens immer nur "M", ist eine Marotte, ich weiß).
Karl

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