Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

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HeKe2
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Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von HeKe2 » 27.09.2019 15:47

Mir ist aufgefallen, dass ältere Füller, wenn sie denn an den bekannten Stellen angeboten werden, meistens eher feinere und/oder auch schräg geschliffene Federn haben. Nun kann das ein Zufall sein, weil es nur zur Zeit gerade so ist, oder auch daran liegen, dass die anderen, nach heutigen Begriffen normaleren Feder mehr benutzt wurden und dadurch die Zeit nicht überdauert haben. Es kann aber auch tatsächlich so gewesen sein, dass diese Federn damals den Großteil des Verkaufsaufkommens ausmachten. Weiß jemand dazu genaueres? Ich selbst kann zum Beispiel auch mit Oliquefedern gut schreiben, normale Federn, gefallen mir aber wesentlich besser, auch wenn sie keine Kugelfedern sind.

Ich komme auf die Frage, weil auch der gerade im Forum vorgestellte Osmia eine Oliquefeder hat.

Gut, für Schwellzüge eignet sich eine feinere Feder besser, womit erklärlich wäre, warum die Entwicklung mit feineren Federn startete. Aber warum so viele olique, also schräg geschliffene Federn? Irgendwie merkwürdig, dass das damals doch wohl relativ viel verkaufte und heute kaum noch gekaufte Federn sind.
Beste Grüße
Hermann

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NicolausPiscator
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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von NicolausPiscator » 27.09.2019 16:23

Aus meiner Sicht ist die Erklärung ganz einfach: Zum einen sicherlich das Schriftbild, es wird lebhafter, weil mehr Strichvarianz da ist, und zum anderen vielleicht auch die Möglichkeit kalligraphischer zu schreiben. Zudem wurde früher viel mehr mit Füller geschrieben als heute und da gab es schlichtweg mehr Leute, die mit diesen Federn gerne schreiben wollten oder insbesondere besser schreiben können, was ich auch im Forum von einigen schon erfahren habe.

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ddss
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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von ddss » 27.09.2019 17:58

Hallo Herrmann,

ich habe einen alten Waterman-Katalog von 1925. In diesem empfiehlt Waterman die Oblique-Feder allen Kunden, die den Stift so halten wie es in der mittleren (zweiten) Abbildung auf dieser Seite gezeigt wird: http://schriftkunst.de/rundbrief/04.htm

Waterman bemerkt weiterhin, dies wäre bei vielen Schreibern der Fall. Die verlinkte Seite vermerkt dagegen: "Die zweite Haltung wurde vermutlich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung angewendet. Die dritte Haltung entspricht weitgehend unserer gewohnten Haltung." Das kann ich persönlich so in dieser Absolutheit nicht beurteilen, aber meine Schreibhaltung entspricht jedenfalls der dritten Variante und ich meine, dies sei auch bei den meisten anderen (Füller-)Schreibern so der Fall. Es würde mich nicht wundern, wenn meine Lehrerin auf der Volksschule mir und meinen Klassenkameraden dies so beigebracht hätte (erinnern kann ich mich daran natürlich nicht mehr).

Damit wäre eigentlich die Erklärung schnell gefunden: Die Schreiber, die die Oblique-Feder wirklich brauchten, sind "ausgestorben"; die entsprechende Schreibhaltung wurde den Kindern abtrainiert.

Das wäre aber (glaube ich) auch wieder zu kurz gedacht: In einer Werbeanzeige von 1925 für den Duofold (http://www.penhero.com/PenGallery/Parke ... ttop06.jpg) bewirbt Parker die neue (!) Oblique-Feder mit den schönen Linienvariationen, die dieser Federtyp erzeugen kann. Auch ich mag die Oblique-Federn genau aus diesem Grunde. Es klappt nur leider nicht mit allen Füllern, sondern nur dann, wenn die schräge Feder fehlerfrei schreibt, obwohl ich sie gerade halte. Muss ich sie eindrehen (was z.B. bei LAMY fast ausnahmslos so ist) ist es mit der Variation vorbei und ich kann mir diesen Federtyp sparen.

Im Ergebnis ist die Erklärung (glaube ich) viel profaner: Die Hersteller haben festgestellt, dass O- und EF-Federn nur noch selten verlangt wurden, mussten sparen und haben die Produktion eingestellt.

VG
Michael

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HeKe2
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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von HeKe2 » 27.09.2019 18:25

@NicolausPiscator:
Es ist wohl so, dass früher mehr auf die Schrift geachtet wurde. Ich habe immer die exakte Schrift meines Vaters bewundert. Nur habe ich das Gefühl, dass die Obliquefedern bei den heute angebotenen "vintage" Füllern fast in der Mehrheit sind. Und schön zu schreiben ist ja nun nicht zwangsläufig an die schräge Feder gebunden. Merkwürdigerweise hatte auch der Füller meines Vaters eine OB-Feder. Er und meine Mutter hatten sich beide Anfang der 60er einen Füller gekauft. Er war damals so beraten worden, mochte seinen Füller aber nie und schrieb daher fast ausschließlich mit dem meiner Mutter. Daher meine Frage nach dem Sinn dieser Häufung jetzt in den Angeboten, oder anders herum: waren die schrägen Federn mal Mode?

@ddss:
Tatsächlich hatte mein Vater eher eine Handhaltung, die der genannten mittleren Variente ähnelt. Er nahm nur den Zeihefinger höher und stützte ihn angewinkelt weiter oben am Füller ab, wobei er den Stift zwischen Mittelfinger und Daumen hielt. Der Ringfinger stützte den Füller von unten.
Beste Grüße
Hermann

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ddss
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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von ddss » 28.09.2019 11:05

HeKe2 hat geschrieben:
27.09.2019 18:25

... waren die schrägen Federn mal Mode?
Wenn man in der Zeit ganz weit zurück geht, muss man diese Frage wohl bejahen: Die Rohrfeder (Qalam) wurde in der Regel angeschrägt, um unterschiedliche Linienbreiten erzeugen zu können (https://de.wikipedia.org/wiki/Schreibrohr). Im bereits erwähnten Waterman-Katalog von 1925 wird dieses Potential der Oblique-Feder mit keinem Wort erwähnt, Parker feiert es in der verlinkten Anzeige von 1925 als neu und von LAMY habe ich noch keine Oblique-Feder in Händen gehalten, mit der man es hätte ausnutzen können. Meine MBs 254 mit OB- und OM-Feder sowie mein Pelikan M200 Old Style mit OB-Feder beherrschen die Variation z.B. perfekt. Bei meinen MBs 126 und 1266 mit OB- bzw. OM-Feder wird es dann schon schlechter (müssen zumindest leicht eingedreht werden). Das scheint mir auch die Tendenz zu sein: Je neuer die Feder um so weniger darf man auf Linienvariation hoffen.

Mir ist es übrigens optisch (auch mit Lupe) noch nicht gelungen, den Unterschied zwischen einer schrägen Feder, die das Eindrehen erfordert und einer solchen, bei der das nicht nötig ist, zu erkennen (ich bin aber auch kein Federmeister). Das wäre mir schon wichtig, denn wenn ich auf dem Flohmarkt oder auf einer Füllerbörse einen Stift mit schräger Feder finde, den ich nicht Probeschreiben kann, wüsste ich schon gerne, ob dieser Stift für mich interessant ist. Vielleicht hängt das aber auch gar nicht vom Schliff, sondern von der Federhärte ab.

VG
Michael

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HeKe2
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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von HeKe2 » 28.09.2019 11:36

Die Erfahrungen von dir unterschreibe ich alle. Besonders das, was du zu heutigen LAMY Federn und dem mehr Linienvarianz erzeugenden Schliff früherer Tage sagst. Unter anderem deshalb habe ich die Frage auch gestellt. Ich habe nämlich auch die Befürchtung, dass ich Füller älterer Bau- und Schleifart mit Schrägfeder zwingend eindrehen müsste, was mir u.U. nicht gefällt. Gelegenhait das auszuprobieren hatte ich noch nicht, aber solange ich das nicht weiß, mache ich um derartige Federn lieber einen Bogen.
Beste Grüße
Hermann

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Re: Entwicklung der Füllerfeder seit ca. 1930

Beitrag von Wrighter » 15.12.2019 12:17

Ich denke mal, dass da einige Faktoren zusammenkommen. Tatsächlich dürfte sich der Anteil von Füllern, die von Erwachsenen genutzt werden und solchen die von Schülern geschrieben werden, in den vergangenen Jahrzehnten, deutlich in Richtung Schüler verschoben haben und diesen Schülern werden eben in aller Regel zunächst "Anfängerfüller" mit A- Oder M-Federn verkauft. Und da in den Schulen auch immer weniger auf die Schrift und auch das Werkzeug geachtet wird, findet heute eben wohl kaum mehr ein Umstieg vom "Lernfüller" auf ein gehobeneres Model mit evtl. O-Feder statt, sondern die Schüler greifen zu Kuli, Gelschreiber oder Fineliner. Wenn dann die Mehrheit der Erwachsenen die überhaupt noch Füller haben, diese hauptsächlich zum unterschreiben nutzen und sich somit gar nicht groß mit dem Schreibgerät beschäftigen, steigt auch hier der Anteil der Standardfedern. Insgesamt sinken dadurch natürlich die Stückzahlen von "Sonderfedern" dramatisch und es greifen in der Folge eben die betriebswirtschaftlichen Anpassungen der Produktpalette, d. h. die Hersteller streichen, was keine Massenware mehr ist. Im Umkehrschluss können dann auch höherpreisige Füller mit dem Zusatzargument, "für dieses Model gibt es auch O-Federn" an den Mann, respektive die Dame, gebracht werden.
Herzliche Grüße
Ralf
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