(Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

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Tenryu
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von Tenryu »

Violett war im 19. Jahrhundert eine Modefarbe, was daran lag, daß der erste synthetisch hergestellte Teerkohlenfarbstoff (von Wil. Henry Perkin) violett war und unter dem Namen Mauvein® vertrieben wurde. Damit wurde eine Zeitlang so ziemlich alles gefärbt, sogar Briefmarken. Ich könnte mir vorstellen, daß die anfängliche Begeisterung und überbordende Verwendung dieser Farbe nach einiger Zeit Überdruß erzeugte, wodurch sie dann in Verruf geriet. Möglicherweise auch dadurch begünstigt, daß sich der Farbstoff nicht für alle Verwendungszwecke als gleich gut geeignet erwies, wie teuerere Naturfarben.
M405
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von M405 »

Darf ich noch zwei Fragen dazu stellen?

1. Wenn es Simenon ums 'billige' gegangen ist, warum dann keinen Kopierstift?
War SEHR billig, hinreichened dokumentenecht, mit großer Wahrscheinlichkeit in jedem Café vorhanden und ja, es gab Kopierbleistifte, die ins Violette umschlugen sowie violette Kopierfarbstifte?

2. Wäre es interessant, das Thema Schrift, Schreibgerät und Zubehör in (alten) Krimis - vor allem im Hinblick auf Verdächtige - in der Sofaecke weiter zu verfolgen? Was meint Ihr?

Viele Grüße

M405
Thom

Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von Thom »

Da muß man ein bisschen spekulieren, aber wie schon weiter vorne, wenn's keine Funktion in der Handlung hat und "nur" zur Bar gehört, ist es sozusagen Lokalkolorit, irgendwie muß er die Szene ""echt"" machen. Vielleicht war Feder gewöhnlich
(oder ungewöhnlich) oder lag gerade auf seinem Schreibtisch.
Wenn das aber der Person gehört, hat er sich's, glaub ich, schon genau überlegt. Was ist das für Einer, dieser Maigret (und womit schreibt der)? Und als nächstes: Wie zeige ich dem Leser, was das für Einer ist?

V.G.
Thomas
M405
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von M405 »

Damit bringst Du das Ganze noch auf eine weitere Ebene: Der Autor überlegt nicht nur, welche kriminalistischen Rückschlüsse realistischerweise aus der Verwendung bestimmter Federn, Tinten, Papieren und Schriften über Verdächtige und Täter gezogen werden können, sondern auch welche Schreibgeräte die gewünschten Eigenschaften des Protagonisten dem Leser nahe bringen?

'Spielt es eine Rolle, dass Maigret Pfeifenraucher ist?', ist in diesem Zusammenhang genauso eine berechtigte Frage wie die Frage nach seinem bevorzugtem Schreibgerät bzw. die Feststellung, dass er ein solches hat. Fällt ihm auf, dass Papier, Feder und Tinte, die ihm in einem Café zur Verfügung gestellt wurden, billig und von schlechter Qualität sind, läßt das den Rückschluss zu, dass er sehr wohl Wert auf gutes Schreibgerät legt. Was bei einem Ermittlungsbeamten, der berufsbedingt viel schreibt, durchaus realistisch ist.
Thom

Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von Thom »

Die ganze Sache ist noch deutlich übler. Es gibt in Wirklichkeit nur eine einzige Person. Und die ist der Leser. Diesen Maigret gibt's eigentlich garnicht. So, und nun mach mal, dass das funktioniert. Deshalb können das auch nicht wirklich viele
(jedenfalls nicht wirklich gut).

V.G.
Thomas
heso
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von heso »

M405 hat geschrieben: 'Spielt es eine Rolle, dass Maigret Pfeifenraucher ist?', ist in diesem Zusammenhang genauso eine berechtigte Frage wie die Frage nach seinem bevorzugtem Schreibgerät bzw. die Feststellung, dass er ein solches hat. Fällt ihm auf, dass Papier, Feder und Tinte, die ihm in einem Café zur Verfügung gestellt wurden, billig und von schlechter Qualität sind, läßt das den Rückschluss zu, dass er sehr wohl Wert auf gutes Schreibgerät legt. Was bei einem Ermittlungsbeamten, der berufsbedingt viel schreibt, durchaus realistisch ist.
Vielleicht sollte man einfach das Startposting nochmal lesen. Nicht Maigret schreibt mit violetter Tinte und halbzerbrochener Feder, sondern die 'anonymen Briefschreiber'... :wink:
Aber es ist schon interessant wie die Spekulationen hier gedeihen und fortgeführt werden. :mrgreen:
VG
Hermann
Thom

Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von Thom »

War ich nicht.
Strombomboli hat geschrieben:Aber es ging doch nicht um Tätertinte, sondern darum, daß Maigret sich in einer Bar Notizen macht.
V.G.
Thomas
heso
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von heso »

Jetzt muss ich doch etwas relativieren:
In "Maigret amüsiert sich" (1957) verbringt Maigret seinen Urlaub in Paris und bringt Inspektor Janvier durch anonyme Postkarten auf die richtige Lösung des Falles, an violette Tinte kann ich mich da aber nicht erinnern.

Habe ich mich jetzt geoutet? :mrgreen:
VG
Hermann
M405
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von M405 »

@Heso: Ich hatte zuvor schon mal was zum Thema Schreibutensilien und mögliche Rückschlüsse auf Verdächtige und Täter geschrieben... Auch glaube ich, dass sowohl Maigret sich irgendwann irgendwas in einer Bar notiert und dabei möglicherweise eine Bemerkung über billige violette Tinte, schlechte Federn und entsprechendes Papier fällt, als auch dass irgendwann in der Serie Briefe auftauchen, die in dieser Art beschrieben werden. Es sind ja schließlich fast 400 Romane und Kurzgeschichten.

Für die grundsätzliche Frage, was den Autor dazu bewegt diese Elemente als Mittel zur Charakterisierung einzusetzen ist dies allerdings nur bedingt relevant. In beiden Fällen soll dem Leser damit Zusatzinfo geliefert werden - in einem Falle über einen Verdächtigen und im andern Fall über den Protagonisten.
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Ergueta
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von Ergueta »

heso hat geschrieben:Vielleicht sollte man einfach das Startposting nochmal lesen. Nicht Maigret schreibt mit violetter Tinte und halbzerbrochener Feder, sondern die 'anonymen Briefschreiber'
Danke, und von Kriminalromanen oder einem Herrn Maigret war übrigens auch keine Rede.
Hans
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vanni52
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von vanni52 »

Auch Vincent van Gogh hat violette Tinte benutzt , und zwar sowohl für seine Korrespondenz als auch für Zeichnungen (s. jeweils Fotos). Da hier auch der pekuniäre Aspekt von violetter Tinte am Ende des 19. Jhdt. diskutiert wird, ist anzunehmen, dass diese im Paris des Jahres 1887 erschwinglich war, denn Vincent van Gogh hatte zu dieser Zeit mit schwarzer und brauner Tinte Alternativen und der bevorstehende Umzug nach Arles hat den dauerfinanzschwachen Maler sicherlich zusätzlich belastet. Aus Arles stammen die im Frühjahr 1888 andefertigten Skizzen sowie der Brief an seinen Bruder Theo.
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LG
Heinrich
heso
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von heso »

Ergueta hat geschrieben:
heso hat geschrieben:Vielleicht sollte man einfach das Startposting nochmal lesen. Nicht Maigret schreibt mit violetter Tinte und halbzerbrochener Feder, sondern die 'anonymen Briefschreiber'
Danke, und von Kriminalromanen oder einem Herrn Maigret war übrigens auch keine Rede.
Hans
Diese Schlußfolgerung war aber durchaus naheliegend, andernfalls hättest du das im Startposting präzisieren können, vielleicht sogar mit genauer Quellenangabe, das hätte von vornherein etliche Mißverständnisse ausgeschlossen.
VG
Hermann
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NicolausPiscator
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Re: (Frage zur) Psycho-Kriminolo-Pathologie violetter Tinte

Beitrag von NicolausPiscator »

Zur Klärung der Frage nach der violetten Tinte kann ich beitragen und einige geäußerte Vermutungen bestätigen: Violette war in Frankreich die Farbe der Schultinte. Deshalb so gängig und gebräuchlich wie in Deutschland Königsblau. Ich vermute, dass das der Grund ist, weshalb Herbin sie zu der "Schulausstattung" legt.
L'encre de nos écoles
Elle s'achetait en petits tubes métalliques, généralement sous la marque déposée ETUIFONT, production J.Herbin (Paris). Ce produit n'est plus commercialisé. Grâce à la gentillesse de quelques anciens instituteurs que nous remercions, nous avons pu constituer une petite réserve de tubes. Pendant quelques années nous pourrons encore faire écrire nos visiteurs à la plume d'acier et à l'encre violette.
Quelle: http://www.musee-ecole-charente.com/len ... -plume.php

Weitere links:
http://iletaitunefoislecole.fr/A-l-encre-violette.html
http://www.encre-et-imprimante.fr/encre-violette
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