Herzlich willkommen zum zweiten Kalendertürchen!
Die Zwei erweist sich als Glücksfall. Sie bietet eine plausible Erklärung, warum ich zwei Füller zeige und dazu zwei Tinten. Doppelter Spaß in einem Türchen! Die Kandidaten verstecken sich in leicht unterschiedlichen Behältnissen, die jeweils einen Hinweis geben.

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Fangen wir oben an. Meine alte Federtasche war nicht umsonst ein Schlampermäppchen, denn ordentlich war ich in der Schule nie. Hefter wurden oft vergessen, dann kam Literatur halt in den Chemiehefter. Es gab auch Mathenotizen auf Notenblättern. Der Inhalt der Federtasche wechselte oft, meistens fehlte genau das, was ich gerade gebraucht hätte. Nur eines war immer drin:
Der Füller! Ein Heiko Primus aus Wernigerode, wo noch heute die Schneider-Füllhalter hergestellt werden. Nachdem selbst die DDR-Presse den Schulfüllern aus volkseigener Produktion gelinde gesagt Untauglichkeit bescheinigt hatte, wurde mit dem Primus der Versuch unternommen, zu den Westprodukten aufzuschließen. Das ist gar nicht mal schlecht gelungen. Die Anleihen beim Original sind zwar nicht zu übersehen, die Farbe war aber linientreu. Gut, es gab ihn auch in anderen Farben und ich denke nicht, dass meine Eltern den Luxus hatten, sich eine aussuchen zu können… Gleich mal Patronen hervorkramen!

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Er schreibt noch, wenn auch mit trägem Tintenfluss. Für den Alltagsgebrauch müsste man etwas daran tun, aber ein paar Zeilen gehen schon. Die Herbin Rouge Caroubier trifft nicht ganz den Ton des Kunststoffs und fließt wie gesagt etwas gehemmt aus der feinen Stahlfeder des Primus. Schreibt man leicht und schnell, bleibt sie daher sehr blass. Drückt man stärker auf, wird es dunkler und Shading wird sichtbar. Vielleicht eine gute Tinte für einen nass schreibenden Füller?

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Die Feder ist nicht sonderlich symmetrisch und hat offensichtlich schon einiges mitgemacht. An Schwierigkeiten im täglichen Gebrauch kann ich micht nicht erinnern. Im Gegenteil, der Primus war mir immer als extrem angenehmer Füller im Gedächtnis geblieben. Ich kann mich auch nicht erinnern, die Feder “thermisch behandelt” zu haben, aber es gibt eine Verfärbung die genau danach aussieht. Das “F” hingegen war von Anfang an kaum lesbar. Dennoch hat der Füller lange funktioniert und diversen Misshandlungen getrotzt. Respekt!
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Kommen wir zum zweiten Behältnis. Es ist ein flaches Kästchen, verziert mit ausgehärtetem Schneckenschleim. Oder vornehmer gesagt: Perlmutt. Die Abalone wird oft als Muschel bezeichnet, aber es ist eine (See-)Schnecke. Ihr Haus ist innen mit sehr glattem und in allen Farben schimmernden Material ausgekleidet. Perlmutt war schon lange ein begehrter Werkstoff, z.B. für die Schmuckherstellung. Kaum zu glauben, dass früher im Vogtland ein Zentrum der Perlmuttverarbeitung lag, denn heute ist die Flussperlmuschel dort ausgestorben. Jedenfalls kann man das glänzende Material auch für Füllfederhalter verwenden.

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Ein Pelikan Souverän lugt aus dem Kästchen hervor. Genauer gesagt ein M 805 Raden Royal Platinum. Schmale Streifen silbriger Schneckenhaustapete sind mit Urushi Lack auf Korpus und Kappe aufgebracht. Daher ist nicht nur dar Anblick des Stiftes außergewöhnlich, sondern er fühlt sich auch anders - aus meiner Sicht besser - an als ein klassischer Souverän aus Kunstharz oder Zelluloseacetat. Der Lackiermeister durfte sich dafür mit Autogramm auf dem Stift verewigen.
Federtechnisch ist es ein M 805 wie jeder andere auch. Die ursprünglich mitgelieferte M ist recht breit, nass, glatt und rund. Eine F passte besser zu meiner Handschrift. Beide schreiben völlig problemlos und sehr angenehm. Aber als kürzlich eine Italic-M angeboten wurde, musste diese ausprobiert werden. Diese Feder wurde von Karsten (epaphras) aus einer Standard-M geschliffen. Sie ist aus meiner Sicht ausgezeichnet gelungen: Nicht scharfkantig, aber mit deutlicher Linienvarianz. Das Schriftbild profitiert immens, ohne dass der Schreibkomfort leidet.

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Ich habe mehrere Tinten in diesem Füller ausprobiert. Die Idee, eine Tinte zu finden, die ähnlich variabel schimmert wie die Perlmuttstreifen, habe ich bald aufgegeben. Dabei war die Sailor Manyo Haha gar kein schlechter Kandidat. Aber so blass mochte ich auf Dauer nicht schreiben. Das sprach auch gegen die Pelikan Edelstein Moonstone, ein eher warmes, helles Grau. Ein Tipp aus dem Forum erwies sich dann für mich als Volltreffer in diesem Füller: Iroshizuku Fuyu-Syogun. Es ist ein kühles, aus meiner Sicht vornehmes Grau mit klarer Präsenz.
Die beiden verstehen sich gut und haben ganz unterschiedliche Plätze in meinem Herzen besetzt. Den Heiko werde ich (noch) schreibfähig(er) machen, das ist mir mit dieser Aktion klar geworden. Auch der Pelikan wird kein Vitrinenstück, sondern wird weiterhin benutzt werden.

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Das soll es auch schon gewesen sein. Vielen Dank für’s Mitlesen, ich wünsche allen eine schöne Adventszeit!
Viele Grüße
Sebastian