! WamS Artikel. Sollte man mit der Hand schreiben können?

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hotap

! WamS Artikel. Sollte man mit der Hand schreiben können?

Beitrag von hotap »

Hallo zusammen,

in der heutigen Ausgabe der Sonntagszeitung „Welt am Sonntag“ befinden sich in der Rubrik Kultur auf 2 Seiten mehrere Artikel die sich „Über den Umgang mit Menschen und Mäusen: Gebrauchsanweisung für das 21. Jahrhundert“ befassen. Darunter auch folgender Artikel:
http://www.welt.de/wams_print/article12 ... ennen.html
Was will mir der Dichter hiermit sagen?
Oder ist es für mich noch zu früh am morgen um diesen Artikel richtig zu verstehen? :roll:

Viele Grüße
Günter
yoda
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Beitrag von yoda »

Hallo Günter und die anderen
Also mir gefällt der Artikel. Es ist richtig: Man kann ohne Handschrift auskommen. Aber, und das sagt mir der Artikel, es ist nicht halb so schön. Es ist, auch der Vergleich kommt in dem Artikel vor, wie das Leben ohne Kochen zu können. Ich werde nicht verhungern aber irgendwie fehlt etwas.

Ergänzend fiel mir ein Satz von Dr. Lamy ein, der er mal gesgt hat:

Der Füllhalter ist ein Denkwerzeug. Er erlaubt es uns, mit der Hand das Denken zu unterstützen, sogar mit der Hand zu denken.

Das ist sinngemäß nicht wörtlich, ich habe das damals nicht mitgeschrieben. Aber es passt zu dem was auch in dem Artikel gesagt wird und zu dem was ich selbst erlebe.

Gruß an alle
Hugo
Dieter N
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Wohnort: bei Kiel

Beitrag von Dieter N »

hmmm ... der Füller als Denkhilfe oder -unterstürzung ...

Was bedeutet das? Für andere und für uns Füllerfreunde. Mir fällt spontan der Satz "Cogito ergo sum!" ein. "Ich denke, also bin ich!"

Heißt das bei uns etwa, dass wir ohne Füller nicht oder zumindest weniger wären? Oder sind wir durch den / die Füller erst etwas geworden? Ist dieses Werden von einem bestimmten Füller, der Menge der Füller oder der Tatsache der Füllernutzung an sich abhängig? Und wie war die Zeit zwischen Schule und der Wiederentdeckung des Füllers, die viele von uns durchlaufen haben? Haben wir dort einen Teil unserer Selbst verloren und später den selben oder gar einen anderen neuen Teil gefunden?

Puh ... Als ich mit asiatischen Kampfkünsten begann, war ich mir recht schnell bewusst geworden, dass ich mich auf einen Weg begebe, der eine Richtung, aber wahrscheinlich kein jemals erreichbares Ziel haben wird. Ich sah, dass es sich dabei um eine Form der stetigen Weiterentwicklung handelt, die auch den Körper, aber vielmehr noch den Geist und den Charakter betrifft. Fast jeder Besuch eines Dojos - und das ist meist mehrmals in der Woche - zeigt mir alte und neue Fehler an mir, an denen die Arbeit und Verbesserung eine würdige Aufgabe ist. Und diese Arbeit an sich funktioniert in jedem Alter und in jeder körperlichen Verfassung, soweit man noch Herr seiner Sinne ist.

Und je länger ich diese Worte schreibe, desto mehr sehe ich Parallelen zum Füller und entdecke eine Bestätigung von Hugos und Dr. Lamys Aussage. Mit dem Füller schreibe ich bewusster als mit dem PC. Einen Teil trägt dazu bei, dass ich nicht editieren kann. Wer will schon nach einer halben Seite seinen Text entsorgen, wenn er sich gedanklich festfrisst oder den Aufbau versaut hat? Also passe ich besser auf als am PC mit der Löschtaste. Den Effekt bringt mir aber auch jeder banale Kugelschreiber, Filzstift oder Rollerball.

Aber der Füller bringt mir auch Emotionen in das Erstellen des Textes, die der PC an sich nicht vermittelt. Ich habe eigentlich immer die Wahl zwischen verschiedenen Füllern und suche sie für das Schriftstück aus, wobei es nicht zwingend auf den Inhalt des Textes, sondern auch auf meine derzeitige Verfassung, äußere Einflüsse usw. ankommt. Und auch das Schreiben ist mit erheblich mehr Gefühlen verbunden als das Tippen eines Textes, weil ich das Gleiten oder Kratzen der Feder bemerke, den Fluss der Tinte sehe oder meine aktuelle Verfassung an meiner Handschrift bemerke. Auch wenn ich im Moment natürlich am PC tippe, bemerke ich eine Flut an Emotionen, die ich zu füllerarmen Zeiten an einer Tastatur nicht empfunden hätte. Insofern ist die Verbundenheit zu unseren Schreibgeräten anscheinend sogar recht nachhaltig.

Allerdings muss ich mich jetzt fragen, ob dieses emotionale Arbeiten eigentlich gewollt ist, wenn ich im Dienst juristische Probleme wälze. Diese sollten doch emotionslos und neutral behandelt werden. ... hm ... ich glaube, für diese Entscheidungsfindungen bin ich neutral genug geblieben. Aber ich entdecke tatsächlich, dass es unterschiedliche Ausprägungen im Kollegenkreis gibt, wie bei Ermessensentscheidungen eine Menschlichkeitsüberlegung einfließt. Diese humane Komponente will ich nicht allein dem Füller in die Schuhe schieben - mich prägen mit Sicherheit auch mein Sport und erst recht meine Frau und Kinder und alles formt den Charakter. Aber es ist wohl tatsächlich etwas daran, dass der Füller auch das Denken verändert / verändern kann.

An der Stelle eine Zäsur!

Dem, der noch nicht eingeschlafen ist, sei gesagt, dass dieser Text wie ein handschriftlicher Text entstanden ist: In der Textmaske des Forums ohne Veränderungen (nur Schreibfehlerkorrektur) mit dem Lauf der Gedanken - und ohne Drogen! Ich habe frei assoziiert und frage mich gerade, ob ihr mich alle für total bekloppt halten werdet und ob ich den Text posten sollte. Ich werde es tun und fürchte mich davor, dass mir die Worte morgen zutiefst peinlich sein werden. Egal - da muss ich durch.

Ich bin mal gespannt, ob und wie ihr reagieren werdet.

Viele Grüße
Dieter
hotap

Beitrag von hotap »

Dieter N hat geschrieben: Ich habe frei assoziiert und frage mich gerade, ob ihr mich alle für total bekloppt halten werdet
NÖÖÖÖÖ!!!

Gruß
Günter
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Tenryu
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Beitrag von Tenryu »

@ Dieter: Ich finde deinen Text gut und gedankenvoll. Da braucht dir gar nichts peinlich zu sein. :)

Ob ein Füller nun als Denkhilfe taugt oder nicht, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß ich alle meine Manuskripte mit der Hand und dem Füller schreibe. Ich fühle mich beim Schreiben viel freier. Die Worte und Sätze sehen nicht so wie gedruckt und endgültig aus, wie das beim PC oder ganz besonders der Schreibmaschine der Fall ist. Wenn ich am PC schreibe, neige ich dazu, den Text viel stärker während des Schreibens zu bearbeiten, weil ich immer eine Art "Buch" vor Augen habe und mir jedes falsche Wort oder Satzzeichen gleich störend ins Auge springt. Dadurch verliere ich die Zeit, die ich zum Nachdenken und zum Entwickeln der Geschichte brauche. Beim Schreiben mit der Hand kann ich einfach allem seinen Lauf lassen, weil ich weiß, daß ich es später beim Übetragen in den PC noch einmal komplett überarbeiten und in die endgültige Form bringen kann.
Ein Kugelschreiber wäre für mich keine Alternative, weil mir nach kurzer Zeit vom stärkeren Schreibdruck die Finger weh täten, was sich wiederum auf die Freude an der Arbeit auswirkte. Und bei einem Tintenroller müßte ich ständig teure Minen tauschen. Bei rund 600-900 Seiten pro Manuskript wäre mir das eindeutig zu teuer.

Das einzige, was mir immer noch zum Verdruß gereicht, ist die Tatsache, daß sich meine Handschrift auch nach so vielen Seiten nicht verbessert hat. :oops:

A Propos Asiatische Kampfkunst: In meiner Jugend habe ich mal eine Zeitlang Kendo betrieben. Von der Philosophie her gibt es übrigens wenig Unterschiede zwischen den Kampfkünsten oder der Kaligraphie oder der Teezeremonie. In allen Fälle geht es darum Körper und Geist in Einklang zu bringen. Daher ist auch die Schreibkunst ein Weg, auf dem man sein Leben lang wandeln kann.
lw7275
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Beitrag von lw7275 »

Zum Thema asiatische Kampfkunst:
Hochinteressant, gehört hier nicht hin, macht aber nichts:
Die grundlegende Philosophie aller Kampfkünste besteht meiner Erfahrung nach in der Suche nach der Erkenntnis, wie man einem Gegner möglichst effektiv und effizient eine zwiebeln kann. Ich meine das wertneutral, der Mensch und seine Mitmenschen ist nun einmal kein sehr friedliches Wesen, und nicht jeder vermag freiwillig die zweite Backe hinzuhalten, wenn er die andere schon blau hat.

Zurück zu den Füllhaltern.
Von einem professionell arbeitenden Autor habe ich nicht erwartet, dass er seine Geschichten von Hand entwickelt und erst dann in den Computer überträgt. Denn warum sollte er die Effizienz des Rechnereinsatzes nicht zu schätzen wissen?
Nun habe ich nicht viel Ahnung von der Arbeitsweise moderner Schriftsteller und kenne nur wenige Beispiele:

Walter Kempowski erarbeitete seine Texte (u. A.?) an der Schreibmaschine und schimpfte auf den Computer, der zum Tippen ohne Denken mit nachträglichem Korrigieren führte. Aus seiner Sicht kann damit vor allem Murks produziert werden.

Orhan Pamuk schreibt alles per Füllhalter, ich wüsste gern, mit welchem Modell, und gibt das Handschriftliche auch zum Verlag. Nach eigener Aussage in eher chaotischer Form mit der Bitte um Sortierung.

Rein handschriftlich arbeitet auch Eugen Drewermann (Stand: Erscheinen von "Die Kleriker").

Nun sind das prominente Leute, denen gerne besondere Bedingungen eingeräumt werden, aber was geschieht mit dem handschriftlich erstellten Manuskript eines Debütanten? Akzeptieren Verlage so etwas überhaupt?
Oder wird da genau vorgeschrieben, welches Schreibprogramm verwendet werden muss, Zeilenabstand, Seitenränder, Schriftgröße, Deckblatt, ...? Entsteht Termindruck?
Dann würde ein moderner, angehender Profi doch schon notgedrungen den Laptop hochfahren, vor allem, wenn er von seiner Schriftstellerei leben muss und noch nicht weiß, wovon er die nächste Miete zahlen soll.

Schriftstellerei per Füllhalter wäre damit ein Privileg der etablierten Profis und der wirklich Unabhängigen.

Schöne Grüße
Lars
Dieter N
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Beitrag von Dieter N »

Hallo, Lars,

zumindest ein Buch hat Stephen King mit einem Waterman geschrieben und das im Klappentext als fördernd heraus gestellt. Da ich nur das Zitat ohne das Buch habe, weiß ich nicht, welches es ist.

Und deine generalisierende Aussage zur Kampfkunst kann ich nicht so stehen lassen - zumindest im ostasiatischen Bereich, den Tenryu und ich meinten, ist das sogar grundlegend falsch. Als extrem-friedliche Ausprägung ist Aikido zu sehen, dessen Ziel es ist, der Aggression des Angriffes nicht selbst mit Aggression zu begegnen, sondern die Kraft des Angreifers zu nutzen, um ihn schonend in eine Situation zu bringen, in der er nicht ohne weiteres einen erneuten Angriff starten und die Sinnlosigkeit seines Tuns erkennen kann. Aber auch schein-aggressive Künste wie Karate sind rein defensiv. Der größte Lehrsatz dort vom Gründer Gichin Funakoshi ist: Karate ni sente nashi = Es gibt keinen ersten Angriff im Karate! Das besagt, dass der Angriff immer vom anderen ausgeht - selbst wenn man selbsterhaltend den ersten Schlag ausführt.
Sorry, liebe Füllerfreunde, aber den Abstecher brauchte ich. Und wer mehr darüber mit mir reden will, kann mich auch gerne anmailen.

Viele Grüße
Dieter
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Tenryu
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Beitrag von Tenryu »

lw7275 hat geschrieben:Von einem professionell arbeitenden Autor habe ich nicht erwartet, dass er seine Geschichten von Hand entwickelt und erst dann in den Computer überträgt. Denn warum sollte er die Effizienz des Rechnereinsatzes nicht zu schätzen wissen?
Mein Vorteil ist, daß ich die Schriftstellerei nur als Steckenpferd betreibe. Daher bin ich frei von jeglichen Zwängen, sowohl inhaltlicher als auch formaler Art. Bei meiner Arbeitsweise wäre es nicht förderlich, direkt am PC zu schreiben (hab ich auch schon gemacht), weil ich den ersten Entwurf gerne grundlegend überarbeite. Da wäre ich die ganze Zeit nur am Löschen, Verschieben und scrollen. wenn ich den Text aber auf Grundlage der Entwufsfassung praktisch neu direkt in den PC schreibe, geht das angenehmer. Es ist vielleicht schon zeitaufwendiger, aber das spielt bei mir keine Rolle, weil ich mir so viel Zeit lassen kann, wie ich will.
Nun sind das prominente Leute, denen gerne besondere Bedingungen eingeräumt werden, aber was geschieht mit dem handschriftlich erstellten Manuskript eines Debütanten? Akzeptieren Verlage so etwas überhaupt?
Oder wird da genau vorgeschrieben, welches Schreibprogramm verwendet werden muss, Zeilenabstand, Seitenränder, Schriftgröße, Deckblatt, ...? Entsteht Termindruck?
Handschriftliche Manuskripte werden nur von ganz lukrativen und prominenten Autoren angenommen. Sinnvoll ist dies aber eigentlich nie, da man Originale nie aus der Hand geben sollte. Geht das Manuskript verloren, hat man Pech gehabt, sintemal Verleger grundsätzlich keine Verantwortung für eingesandte Manuskripte übernehmen.

Üblich ist folgendes Format für Typoskripte:
einseitig beschrieben, 1,5 bis 2-facher Zeilenabstand, oder 30 Zeilen à 60 Anschläge pro Seite.

Übrigens die Annahmequote für Manuskripte liegt bei unter 1%. Das bedeutet, daß bei rund 100'000 Neuerscheinungen pro Jahr tatsächlich über 10'000'000 Bücher geschrieben werden! (allein auf Deutsch versteht sich.)

Im Grunde genommen geht für die Literaturfoschung viel verloren, wenn keine handschriftlichen Manuskripte mehr erstellt werden. Früher konnte man aus jenen viele Metainformationen herausziehen: angefangen von der Echtheitsprüfung durch Schriftvergleich bis hin zu Arbeitstechniken, Bearbeitungsgrad, Ortgografie, Wohlstand, Gesundheit, usw. Und nicht zuletzt dürfte die Lebensdauer eines Manuskriptes bedeutend länger sein, als die einer Diskette oder CD-ROM[/quote]
Buggs
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Beitrag von Buggs »

Dieter N hat geschrieben:hmmm ... der Füller als Denkhilfe oder -unterstürzung ...

Was bedeutet das? Für andere und für uns Füllerfreunde. Mir fällt spontan der Satz "Cogito ergo sum!" ein. "Ich denke, also bin ich!"

Heißt das bei uns etwa, dass wir ohne Füller nicht oder zumindest weniger wären? Oder sind wir durch den / die Füller erst etwas geworden? Ist dieses Werden von einem bestimmten Füller, der Menge der Füller oder der Tatsache der Füllernutzung an sich abhängig? Und wie war die Zeit zwischen Schule und der Wiederentdeckung des Füllers, die viele von uns durchlaufen haben? Haben wir dort einen Teil unserer Selbst verloren und später den selben oder gar einen anderen neuen Teil gefunden?

[...]
Es hat vermutlich nichts mit verlieren oder finden zu tun.

Wer nach der Pubertät immer noch oder später wieder mit einem Füller schreibt, tut das nicht weil er/sie/es durch den Füller besser denken kann. Es ist eher eine Vorliebe / Neigung die mit Füllern besser harmoniert.
So wie es mit mechanischen Uhren bei manchen gegeben ist. Sie sind teurer, aufwändiger etc als Quarzuhren. Und man sieht es ihnen meist nicht an. Und doch möchte man nicht tauschen.
Man mag eine zeitlang mit anderen Werkzeugen experimentieren, oder man hat kein passendes mehr zur Verfügung.

Das mag dann so wirken als könne man mit Füller besser schreiben oder denken.

Ich konnte z. B. Zehn-Finger-Schreiben nie gut genug um nicht mitdenken zu müssen. Mit einem guten Stift brauche ich mich nicht auf die Ausführung der Gedanken konzentrieren, sondern kann meine Konzentration auf das lenken was ich festhalten will.

Das muss aber nicht für alle gelten.
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