Selbst Schuld/kritische Betrachtung

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Stephan
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Re: Selbst Schuld/kritische Betrachtung

Beitrag von Stephan »

Manchmal wär' ich zu gern Bibliothekar. Am besten in der Deutschen Nationalbibliothek. Bei dieser Diskussion wäre ich mit der Nase ganz tief in alten Kampf- und Streitschriften aus der Weimarer Republik. :)
Hier ist nämlich absolut gar nichts neues zu lesen. Den globalen Versandhandel haben nicht die Internetunternehmer erfunden. Der hat schon George Washington vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg fest in seinen Klauen gehabt.
Was wir heute als Einzelhandel kennen, stammt abseits der Lebensmittel aus zwei Wurzeln:
Niederlassungen von Handwerkern und Fabrikanten, die im Kontor möglichst maßgeschneiderte Lösungen für wohlhabende Kunden erstellen.
Lokal niedergelassene Vertreter (neudeutsch Point of Presence) von Versandhäusern mit einem kleinen Lagerraum als Puffer für Spontankäufer und einem Verkaufsraum als Werbefläche.
Letztere waren Experten für Katalogbestellungen. Sie wußten genau, was man wo beschaffen kann und konnten den Kunden von den Ärgernissen des Import-/Exportgeschäfts mit Produktsuche, Anbieterbewertung, Zöllen, Rücksendungen und Versicherungen entlasten.
Irgendwann verkrusten solche Strukturen. Dann kommen neue Anbieter und brechen sie gewaltsam auf, indem sie an den etablierten Ketten und Kaufhäusern vorbei direkt die Kunden ansprechen.
Nach einer Weile entstehen neue Strukturen, verkrusten, werden wieder aufgebrochen, ...
Das geht schon seit Jahrhunderten so.
Wahrscheinlich haben schon die Kupferwarenhändler der ausgehenden Steinzeit geschimpft, wie sie denn gegen die Konkurrenz aus dem Altai bestehen sollten, wenn der Kunde immer so aufsessig und egoistisch ist. :mrgreen:
Tintenklex

Re: Selbst Schuld/kritische Betrachtung

Beitrag von Tintenklex »

Nun, das letzte Mal, als ich hier im "Fach"handel einen Füller (Lamy 2000) probeschreiben wollte, hiess es: "Den müssen wir bestellen, aber dann müssen Sie ihn auch nehmen."
Nun, bestellen kann ich ihn selbst, und dann muss ich ihn - dank Fernabsatzgesetz - noch nicht einmal nehmen.
Dieser einzig verbliebene Schreibwaren-"Fach"handel im Ort hat im Prinzip auch kein anderes Sortiment als die Filiale einer grösseren Drogeriekette in ihrer Schreibwarenabteilung - allerdings zu deutlich höheren Preisen. Dafür läuft der inzwischen dem Schreibwarenladen angeschlossene Paketshop wohl ausgezeichnet...

Einen defekten wertigen CD-Player konnte ich bereits vor knapp 10 Jahren hier vor Ort nicht durch einen neuen ersetzen, da es im hiesigen sog. "Fach"handel hiess: "CD-Player führen wir nicht mehr, da können Sie jeden (!) DVD-Player nehmen, die lesen auch CDs". Man hätte mir einen >500€-CD-Player verkaufen können, hat mir aber einen 50-€-DVD-Player angeboten.

Seit der hiesige Karstadt vor einigen Jahren dicht gemacht hat, kann man hier im örtlichen Handel - ausser die untere Qualitätsstufe in einem grossen Lebensmittelladen auf der grünen Wiese - keinerlei Küchenzubehör wie Töpfe, Geschirr oder auch nur Topflappen mehr kaufen. Allerdings gibt es mehrere (!) Läden, wo man komplette Küchen kaufen kann.

M.E. ist es der "Fach"handel zum grossen Teil selbst schuld, dass in den letzten Jahren immer mehr Kunden ins Internet abgewandert sind: Bestenfalls hat man vor Ort nicht mehr das elementarste vorrätig, schlimmstenfalls fühlt man sich als Kunde schlechterdings verscheissert (wie bei dem CD-Player-Beispiel).

Mindestabnahmemengen kann man zB durch Einkaufsgemeinschaften umgehen, Kundenkreise kann man durch zusätzliche Webshops erweitern. Und kaufwilligen Kunden kann man wenigstens versuchen zu helfen, anstatt den Eindruck zu erwecken, man habe den anfragenden Kunden gar nicht nötig.
thobie
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Re: Selbst Schuld/kritische Betrachtung

Beitrag von thobie »

Tintenklex hat geschrieben:Nun, das letzte Mal, als ich hier im "Fach"handel einen Füller (Lamy 2000) probeschreiben wollte, hiess es: "Den müssen wir bestellen, aber dann müssen Sie ihn auch nehmen."
Das sehe ich genau wie Du. Bestellen kann ich auch selber von daheim aus. Wenn ich im Fachhandel im Regelfall zu einem deutlich höheren Preis kaufe, dann nur, weil ich den Halter dort vorher ausprobieren kann. Das ist der Service, den ich mit dem höheren Preis auch gern bezahle.
Tintenklex hat geschrieben: Mindestabnahmemengen kann man zB durch Einkaufsgemeinschaften umgehen, Kundenkreise kann man durch zusätzliche Webshops erweitern. Und kaufwilligen Kunden kann man wenigstens versuchen zu helfen, anstatt den Eindruck zu erwecken, man habe den anfragenden Kunden gar nicht nötig.
Genau das ist der Punkt. Ich habe vor ein paar Jahre mal eine Videokamera von Panasonic bei einem ganz kleinen Händler in einem recht kleinen Ort gekauft. Der Laden hatte gerade einmal 40 m², wenn es hochkam. Auf den Händler bin ich gekommen, weil der im Internet anbot und auch noch das günstigste Angebot gemacht hat. Beim Kauf vor Ort bin ich mit ihm ein wenig ins Gespräch gekommen. Hinsichtlich der Preise meinte er: Man muss das nur können. Ich kann so günstig anbieten, weil ich über den Versandhandel große Mengen absetze und entsprechend hohe Rückvergütungen vom Hersteller bekomme.

Und genau in diese Richtung kann der Handel über das Internet gehen. Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Auch im Internet bevorzuge ich Händler, die einen guten Ruf haben. Da bin ich auch gern mal bereit, denen einen oder anderen Euro mehr auszugeben. Und für den Internethandel müssen es ja nicht nur Füllhalter sein. Auch Tinten lassen sich gut absetzen, zumal dort die Handelsspanne noch stimmt. Da muss man nur überlegen, was man will: Den eigenen Shop oder Angebote über ebay bzw. Amazon platzieren. Ebay und Amazon haben den Vorteil, dass man eine Vielzahl von Kunden, teilweise auch international anspricht. Zudem hält sich der Aufwand für den Webauftritt in Grenzen. Der eigene Shop hat den Vorteil, dass man dort halt individueller in der Präsentation ist. So würde ich mir beispielsweise einen Webshop mit einer großen Auswahl an Tinten wünschen, für die es dann auch entsprechende Farbkarten gibt. Ergänzen kann man das dann mit Angeboten bei ebay oder Amazon.

Der Webshop würde so zu einem echten zweiten Standbein. Und im örtlichen Laden hätte man dann auch die Luft, all die Dinge zu verkaufen, die das Schreiben schön machen; also neben Stiften auch hochwertige Schreibtischunterlagen, Timer und hochwertige Papiere. Dazu bedarf es aber der richtigen Lage und man braucht ein wenig Mut.

Ich hatte vor einigen Monaten mal ein sehr nettes Gespräch mit Frau Martini. Und meine Einstellung war es bislang, dass es sich bei den Anbietern im Internet um "kleine" Händler handelt. Frau Martini stellte die eine oder andere kritische Frage dazu. Ich habe danach daheim noch einmal ganz ausführlich über das Thema nachgedacht. Vermutlich machen viele der Internethändler deutlich mehr Umsatz als die meisten Geschäfte vor Ort. Das ist eine Entwicklung, die man bedenken sollte. Und Ladengeschäft und Internethandel lassen sich sehr gut miteinander kombinieren; Beispiel ist hier Fritz Schimpf. Ich habe dort im Januar einen Füllhalter gekauft und bin dafür insgesamt fast 800 km gefahren. Und ich habe es nicht bereut. Es war einfach ein tolles Erlebnis in solch einem Laden zu kaufen. Alternativ hätte ich auch über das Internet bei ihm bestellen können.

Viele Grüße
Thomas
markkus
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Re: Selbst Schuld/kritische Betrachtung

Beitrag von markkus »

Darf ich auch noch ein Beispiel anfügen:

Bei einem "Fachhandel" in Nürnberg hatte ich vor fast zwei Wochen nach der neuen Pelikan Edelsteintinte Amethyst nachgefragt. Zwei der drei Verkäufer kannten diese Tinte überhaupt nicht und der dritte musste erst in seinem Rechner nachschauen.
Auf die Frage "warum gibt's die bei Ihnen noch nicht" kam die Antwort: "Der Pelikan-Vertreter war noch nicht da. Und wann der kommt können wir auch nicht sagen". Dann kam noch die Aussage zu Mindestbestellmenge hinzu... er wisse gar nicht ob er sie überhaupt bestellt, da er nicht weiß ob er die Mindestmenge überhaupt los bekomme...

Ich konnte ihn dann doch überreden für mich zu bestellen (ohne dass er die Tinte je gesehen hat). Ja, jetzt warte ich seit fast zwei Wochen darauf.... hätte ich im Netz von Anfang an bestellt, wäre ich schon längst Glücklich gewesen. Ich dachte halt ich unterstütze den heimischen Fachhandel und habe nun das davon!

Aber ich habe ja noch genug andere Tinten die ich auch erst einmal verschreiben muss... ;)

Gruß, Markus
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amarti
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Re: Selbst Schuld/kritische Betrachtung

Beitrag von amarti »

Auch für mich musste der Fachhändler eine Einzelbestellung für die Pelikan Tinte des Jahres 2015 durchführen. Sie werden sie sich auch nict hinstellen, obwohl sie zahlreiche andere Edelsteintinten haben und die auch abverkaufen.

Aber lila, lavendel, violett wäre halt eine ganz bestimmte Farbe. Die führen sie bereits als Pelikan 4001 und Online Patronen für eine ganz bestimmte Tagebuchgruppe. Die haben aber nicht das Geld für einen Kolbenfüller und ein 14 Euro Tintenglas. Bei diesen kleinen Mädchen könne man froh sein, dass die überhaupt mit Tinte und Füller schrieben.

Andreas
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