Hallo miteinander!
Die Frage, wie eine gute (ordentliche, kultivierte) Handschrift aussieht, ist eine sehr berechtigte Frage. Es kann darauf, wie so häufig im Leben, keine eindeutige Antwort geben, da die persönliche Handschrift eines Menschen so unverwechselbar individuell ist wie sein Fingerabdruck. Das ist ja auch der Ansatz der Graphologie, die aus dieser Wesensart der Handschrift eines Menschen glaubt, Rückschlüsse auf dessen Charakter ziehen zu dürfen. Dazu gäbe es viel zu sagen, aber wenn ich mich recht erinnere, haben wir dazu schon einen Thread hier im Forum.
Vielmehr möchte ich, da ich - wie ich oben ja schon geschrieben habe - beruflich häufig um Rat gefragt werde, was man denn tun kann, um seine Handschrift zu verbessern, hier mal meine Tipps, die ich dann häufig gebe, zur allgemeinen Diskussion stellen. Ich will das mal in einer Art Thesenliste versuchen, die nicht nach Thesenwichtigkeit sortiert ist, sondern nach dem Zufallsprinzip:
1. Die eigene Handschrift muss
mir gefallen.
Ich muss damit zufrieden sein, wenn andere das auch sind, ist es umso besser, aber nicht Hauptkriterium (Einschränkung siehe unten!). Um Schriftarten, von denen man sich die eine oder andere
Anregung zur Gestaltung der eigenen Handschrift abschauen kann, zu studieren, kann man in
Kalligraphiebüchern nachsehen (Anregungen dazu habe ich schon in einem meiner Artikel weiter oben in diesem Thread gegeben), Handschriften anderer Menschen durch entsprechende
Briefwechsel sammeln (Die alte Brieffreundschaft ist noch lange nicht tot!) oder z.B. in Museen oder Bibliotheken ältere
Urkunden (am besten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die noch in Sütterlin geschrieben sind) ansehen.
2. Die eigene Handschrift sollte dennoch nie versuchen, eine andere zu kopieren, sondern
immer Eigenkreation bleiben, die "auf meinem Mist gewachsen" ist und auch ihre Herkunft zur früheren Handschrift nicht verleugnet.
3. Die eigene Handschrift muss ein
leistungsfähiges Aufzeichnungsinstrument sein, das sich flüssig handhaben lässt, eindeutig entzifferbar ist und dennoch gut aussieht.
Zweckmäßigkeit muss letztlich Vorrang haben vor Schönheit! Mir hilft meine ganze Vorlesungsmitschrift nichts, wenn sie zwar gut aussieht, aber an wichtigen Stellen lückenhaft geblieben ist, weil ich mit dem Schreiben nicht nachgekommen bin.
4. Die eigene Handschrift muss - nach kurzer Einlesezeit -
für jedermann lesbar sein. D.h. die
Buchstaben müssen sich
eindeutig identifizieren lassen und dürfen nicht miteinander verschwimmen oder austauschbar sein, wie das bei "u", "n", "m", "w" usw. häufig der Fall ist. Eine nur teilweise lesbare Schrift, ist
kontrakommunikativ,
egozentrisch und
taktlos gegenüber dem Empfänger. Die Ausrede: "Ich schreib' halt nunmal so!" gilt nicht. Die Individualität einer Schrift leidet nicht unter ihrer Lesbarkeit!
5.
Die Schreibgeschwindigkeit nimmt normalerweise zu, wenn die Buchstabengrößen abnehmen. Menschen, die in Sitzungen nie hinterher kommen, weil sie die Buchstaben malen und auch noch mit dekorativen Schnörkelchen versehen, können versuchen kleiner und weniger verspielt zu schreiben.
6. Die
Buchstabenneigung sollte etwas
zur Schreibrichtung hin gehen. "Auf den Hintern fallende Buchstaben", die sich gegen die Schreibrichtung sperren, bremsen den Schreibfluss und sind auch nur durch eine verkrampftere Fingerhaltung zu produzieren.
7. Die
Buchstabengrößen sollten sich etwa im
Verhältnis 2:3 (Kleinbuchstaben zu Großbuchstaben) bewegen
8.
Die Profischreibhaltung heißt "
Handschrift" und nicht "Fingerschrift", d.h. die
Schreibbewegung kommt bei geübten Schreibern aus dem Handgelenk und nicht aus den Fingergelenken wie bei Schreibanfängern, die jeden Buchstaben noch "malen" müssen. Man erkennt eine solche Anfängerhaltung an den nach außen geknickten vorderen Fingergliedern an Schülerhänden, die unweigerlich zu einer langsamen Verkrampfung der ganzen Hand führen. Das oft zu beobachtende Ausschütteln der Schreibhand nach Diktaten oder schnellen Passagen in Vorlesungen ist ein eindeutiges Indiz für eine verkrampfte Schreibhaltung. Um die
Schreibgeschwindigkeit erheblich zu
steigern und die Handbewegungen gleichzeitig zu minimieren, empfiehlt es sich, den
Füller etwas länger zu fassen, d.h. das Schreibgerät nur noch
zwischen Zeige- und Mittelfinger zu klemmen und den Daumen zurückzunehmen an den Schaft.
Der Daumen hat vorne in der Griffmulde nichts zu suchen! Die Feder steht dann von alleine etwas weiter aus den Fingern hervor und kann
flacher aufgesetzt werden. Sie kann dann fast nur noch aus dem Handgelenk geführt werden; die Finger korrigieren dabei nur noch milde die Akzentuierung der Buchstaben. Das vertraute Schriftbild wird sich dadurch zwangsläufig ein bisschen ändern, aber nicht grundlegend. Es wirkt nur glatter und harmonischer. Das muss man anfangs etwas üben, bis man die richtige Grifflänge gefunden hat. Außerdem ist die auch abhängig vom Füller selbst und vom Tintenfluss.
Mit einem Kugel- oder Gelschreiber ist eine solche Schreibhaltung überhaupt nicht erzielbar; allenfalls noch mit einem Bleistift!
9. Wer seine Schreibhaltung ändern will, muss eventuell auch das
Schreibgerät wechseln. Füller, die sehr steil gehalten werden mussen, um ordentlich zu schreiben, eignen sich für die Profihaltung auf die Dauer ebenso wenig als Standardschreibgerät wie zu kleine Füller (Minimum Pelikan M 200/400-Größe, aber mit hinten aufgesteckter Kappe!). Am besten ist es, zunächst einmal ein paar leere Blätter mit seinem vertrauten Schreiber mit zusammenhängenden "Achten" vollzumalen oder einen kleinen Text, den man sehr mag, ein paar Mal mit verschiedenen Füllerhaltungen und Füllern abzuschreiben. Man muss anfangs erheblich
gegensteuern, um nicht wieder in die alte Schreibhaltung zurückzufallen. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, auch dann wenn er sich selbst damit das Leben schwer macht.
10.
Eine wirklich schlechte Handschrift gibt es nicht, wohl aber eine ungepflegte oder gar verwahrloste! Dagegen kann jeder etwas tun! Die eigene
Handschrift ist auch eine Art Visitenkarte. Warum also immer nur das Outfit pflegen, tolle Klunkerchen ranhängen (Bitte alle Damen um Nachsicht!) oder jede Menge Technokrimskrams (Handy, Palm-Top, Notebook etc.; Bitte alle Männer um Nachsicht!)) auf dem Schreibtisch ausbreiten, um einen guten Eindruck zu machen, wenn die eigene Handschrift in der Grundschule stecken geblieben ist!?!?!
So, ich glaube, das reicht für's Erste.
Auf Wiederschreiben!
Peter