im Forum „Alte Schreibgeräte“ wurde jüngst bemängelt, daß so wenig Interesse an alten Füllern bestünde. Das ist wohl richtig, aber ich gehe mal davon aus, daß die Wenigsten hier im Forum im Besitz von solch betagten Schreiberlingen sind. An sie kommt man nur entweder durch Tausch oder durch enormen finanziellen Einsatz; und selbst nach Erwerb ist nicht klar, ob sie überhaupt noch funktionstüchtig sind (was ich selbst neulich erfahren durfte).
Nun, um hier mal einen bescheidenen Beitrag zu diesem Thema abzuliefern, habe ich mich entschlossen, einen Sheaffer 620 vorzustellen. Er ist jetzt nicht „alt“ wie manche Schmuckstücke, die hier schon präsentiert wurden, aber immerhin hat er über 40 Jahre auf dem Buckel respektive Kappe. Ich kann nicht genau sagen, ob dieser Füller je im Forum besprochen wurde, über die Suchfunktion kommt entweder nur „Sheaffer“ (über 1000 Einträge) oder 620. Beides führte zu keinem entsprechenden Befund. Meine Recherche in amerikanischen Foren ergab, daß der 620 im Sheaffer-Magazin von 1976 als „the graceful Lady Sheaffer is beauty at its best“ vorgestellt wurde. Mit dieser Notiz ist auch in etwa klar, wann der Füller produziert wurde. Wie lange, weiß ich nicht.
Also hole ich das clandestin eingeforderte Bedürfnis hiermit nach, wobei ich hoffe, daß ich mit diesem kleinen Füller auf vereinzeltes Interesse stoße. Gekauft habe ich ihn letztes Jahr unter der Bezeichnung „Sheaffer 620 XG“. Ich habe keine Ahnung, was „XG“ bedeuten soll, also habe ich recherchiert. Der Füller wird noch verschiedentlich angeboten, aber die, die ich fand, haben einen vergoldeten Zierring, was meiner nicht hat. Dafür fand ich ein Pendant zu meinem, und der wird unter „CT“ geführt, also Chrome Trim. Der XG wurde mit Goldfeder angeboten, aber auch mit Stahlfeder. Den CT gab es wohl nur mit Stahlfeder.
Schaft und Kappe bestehen aus diagonal gebürstetem Stahl, das lange Mundstück aus schwarzem Plastik, und am Übergang von Kappe zu Schaft sitzt ein verchromter Zierring mit Blattranke. Die tief gelegenen Abschnitte der Ranke sind schwarz lackiert. Die Ranke ist zweiteilig und durchaus bemüht, Details einzufangen. Die kleine Feder ist aus Stahl und mit „Sheaffer“ bezeichnet. Auf der Kappe über dem Zierring ist zu lesen: SHEAFFER – MADE IN U.S.A. Die Kappe besitzt einen kurzen Clip mit dem obligaten weißen Punkt.
Zu den Maßen: Geschlossen mißt der Füller 13,2 cm, offen 12,0 cm, gepostet 14,2 cm, die Kappe 6,5 cm. Zur Verdeutlichung der Größe habe ich bei den Bildern einen Pelikan 400NN dazugelegt.
Das Gesamtgewicht beträgt 20 g.
Zur Gesamtform: Der geschlossene Füller ist erstaunlich, weil die Kappe enorm lang ist. Schaft und Kappe laufen stark verjüngt aus, wobei der stark erhabene Zierring die Mitte markiert. Die Kappe ist halb so lang wie der Schaft, was ungewöhnlich ist. Die Füller in meiner Sammlung haben meistens ein Verhältnis von 3:4 oder 2:3, aber 1:1 hat keiner aufzuweisen. Die Gesamtform zeigt daher einen sehr eleganten Füller mit mutigen Proportionen.
Der geöffnete Zustand macht deutlich, daß das schwarze Mundstück ebenfalls sehr lang geraten ist; kein Wunder, es bildet naturgemäß das Pendant zur ungewöhnlich langen Kappe. Da letztere zum Stecken gedacht ist, fehlt ein Schraubgewinde. Ein schmaler Zierring schließt das Mundstück ab und leitet zum Schaft über. Das Mundstück weist am Übergang zum Zierring drei quadratische Eintiefungen auf, die im Zierring in drei punktförmigen Punzen ihre Ergänzung finden. Eine nette Spielerei, die aber erst auf den zweiten Blick sichtbar wird.
Die enorm feinfühlig gedrehte Schaft-Mundstück-Kappen-Konusform ermöglicht es, die Kappe sowohl auf das Mundstück als auch auf das Ende des Schaftes sehr sanft aufzustecken. Einmalig, dieses Gefühl! So etwas kenne ich von keinem meiner Füller, höchstens vom Parker 25.
Ich könnte den Sheaffer ohne aufgesteckte gerade noch schreiben, aber mit aufgesteckter Kappe schreibt sich der Füller einfach traumhaft, weil die Balance stimmt.
Die Stahlfeder ist winzig. Auf dem schwarzen Mundstück ist ein „M“ eingeprägt, was wohl für „Medium“ steht, und so schreibt die Stahlfeder auch. Sie mag gar keinen Druck, je weniger, desto besser. Sie gleitet sanft über das Papier. Verkanten mag sie gar nicht, da gibt es sofort wütende Proteste. Als ich die Feder anfangs in Augenschein nahm, dachte ich, sie hätte einen Defekt und wäre nach oben verbogen. Aber nein, das „gehört so“. Der Blick auf vergleichbare Artverwandte zeigte mir, daß alle Federn des 620 so geformt sind. Phänomenal!
Der 620 verfügt über einen Quetsch-Konverter, der problemlos funktioniert und genügend Tinte aufsaugt, um eine DIN A 4-Seite zu beschreiben. Wie von Andi Wurmbunt an anderer Stelle kürzlich festgestellt wurde, muß man zu solch alten Tintensäcken die richtige Tinte finden. Die erste, die ich eingefüllt hatte, war die Diamine Dragon Blood, die paßte gar nicht, weshalb ich die Schuld dem Füller zuschob und er deswegen „zur Strafe“ für Monate in der dunklen Schublade verschwinden mußte. Erst ein alter Thread hier im Forum, in dem die Vorzüge alter Sheaffer-Füller gelobt wurden, brachten mich dazu, den 620 wieder hervorzuholen und neu mit einer anderen Tinte zu befüllen. Momentan brilliert die Diamine Sherwood green, und wie! Da habe ich dem armen Sheaffer 620 aber arg unrecht getan!
Fazit: Der kleine Sheaffer ist ein wahres Kleinod! Er wird im Internet des Öfteren als „Lady Sheaffer“ apostrophiert, aber abseits von allen Marketingstrategien: Der Sheaffer 620 paßt mit aufgesteckter Kappe auch in Männerhände und schreibt dorten genauso gut. Er läßt sich natürlich auch ohne aufgesteckte Kappe schreiben, kommt halt auf die "Pfötchenkonfektionsgröße" an...

Gruß,
Tomm