Tempo-Chromatographie

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mondindianer
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Tempo-Chromatographie

Beitrag von mondindianer »

Ich habe neulich diesen Beitrag von Sina entdeckt. In dem dort verlinkten Videoclip erzeugt sie ein Tinten-Chromatogramm auf einem Papiertaschentuch. Das hört sich zuerst mal nach nichts Besonderem an, und in manchen Beiträge zu Tintenvorstellungen werden die Ergebnisse solcher Bemühungen auch heruntergespielt. Das Chromatogramm in dem Filmchen sieht aber so schlecht nicht aus im Vergleich zu anderen Chromatogrammen in dem Faden.

Interessant finde ich daran die schnelle Wasseraufnahme in den ersten Sekunden des Eintauchens. Was auch immer in der Tinte beweglich ist, sollte von dieser Flut mitgerissen werden. Auf dem weiteren Weg werden die Farbstoffe dann wieder abgeschieden. Ich dachte mir, das könnte eine geeignete Schnellmethode für eine erste Einschätzung einer Tintenzusammensetzung sein. Also habe ich mir einige Packungen Taschentücher genommen, eine Methode entwickelt (damit will ich euch hier nicht langweilen) und vier recht unterschiedliche Tinten untersucht. Als Lösemittel habe ich Wasser verwendet. Ich habe zunächst die Tinten verwendet, die ich gerade auf dem Schreibtisch hatte: Pangong Tso von Shanghai Stationary (blau), Syrah von Diamine (rot), Land of Shangrila von Ferris Wheel Press (braun), und Onyx von Scribe (schwarz). Parallel dazu habe ich dieselben Tinten auch mit meinem üblichen Filterpapier nach der aufsteigenden Methode untersucht.

Bei den Ergebnissen unten liegt außerdem jeweils ein horizontales Chromatogramm, das mMn die Zusammensetzung der Tinte am Besten wiedergibt (das Lösemittel der Wahl ist je nach Tintenzusammensetzung nicht immer Wasser). Typischerweise ändert sich die Abfolge der Farben bei unterschiedlichen Lösungsmitteln; ich vergleiche also zunächst die beiden Chromatogramme links (Filterpapier) und rechts (Papiertaschentuch) im Bild, anschließend bewerte ich die Auflösung im Vergleich zum mittleren Chromatogramm.

Shanghai Stationary Pangong Tso: einfache Zusammensetzung, sehr gute Übereinstimmung der Methoden.
Shanghai Stationary Pangong Tso.jpg
Shanghai Stationary Pangong Tso.jpg (535 KiB) 6570 mal betrachtet

Diamine Syrah: etwas komplexere Zusammensetzung, auch hier eine ordentliche Übereinstimmung. Die Trennung der roten Farbstoffe gelingt im Taschentuch nicht.
Diamine Syrah.jpg
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Scribe Onyx: schwarze Tinten sind fast immer undankbare Proben. Bei dieser Tinte ist das nicht viel anders. Die Komplexität der Zusammensetzung kommt allerdings auch mit Wasser als Lösemittel nicht gut heraus. Beim Taschentuch fehlt das zweite Gelb, das Türkis wird nicht mehr von Gelb getrennt. Positiv hervorzuheben ist allerdings die gute Übereinstimmung der beiden Tempo-Chromatogramme untereinander.
Scribe Onyx.jpg
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Ferris Wheel Press Land of Shangrila: Braune Tinten sind immer eine Wundertüte, das ist hier auch nicht anders. Das Taschentuch gibt einen sehr guten EInblick in die Zusammensetzung, auch hier reicht die Auflösung im oberen Bereich nicht aus. Wer genau hinsieht kann aber erkennen, dass zwischen dem Pink und dem Blau ein gelber Farbstoff sein sollte. Die Übereinstimmung zwischen Filter und Taschentuch ist also sehr ordentlich. Auch hier ist Wasser nicht das geeignete Lösemittel, wie das Kreischromatogramm zeigt.
FWP Land of Shangrila.jpg
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Fazit: die Tempo- oder Tissue-Chromatographie ist viel besser als ihr Ruf. Mit ein wenig Sorgfalt durchgeführt, erlaubt sie vernünftige Aussagen über die farbliche Zusammensetzung vieler Tinten. Die Vorteile liegen im geringen materiellen und apparativen Aufwand, vor allem aber in der Geschwindigkeit (daher der Name ;) ). Nach einer Minute ist die Messung beendet, bei Filterpapier kann ich eher mit Zeiten ab 30 Minuten bis 8 Stunden rechnen. Wird das Taschentuch-Chromatogramm zum Trocknen aufgehängt (und nicht hingelegt), dann läuft die Trennung im oberen Bereich noch etwas weiter.
Trockner.jpg
Trockner.jpg (488.59 KiB) 6570 mal betrachtet

Vielen Dank an Sina für die Anregung, diese oft belächelte Methode selbst einmal auzuprobieren :) Ich schaue mir Tintenzusammensetzungen inzwischen immer erst auf einem Taschentuch an.
Viele Grüße
Fritz
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vanni52
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Re: Tempo-Chromatographie

Beitrag von vanni52 »

Moin Fritz,

danke für diesen klasse Beitrag, der vielleicht ein Anstoß sein kann, oder besser sein wird, diese Methode mal auszuprobieren.
LG
Heinrich
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Querkopf
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Re: Tempo-Chromatographie

Beitrag von Querkopf »

Fritz, ich danke dir auch sehr für diesen Beitrag!
mondindianer hat geschrieben:
21.12.2024 14:42
... die Tempo- oder Tissue-Chromatographie ist viel besser als ihr Ruf. Mit ein wenig Sorgfalt durchgeführt, erlaubt sie vernünftige Aussagen über die farbliche Zusammensetzung vieler Tinten. Die Vorteile liegen im geringen materiellen und apparativen Aufwand, vor allem aber in der Geschwindigkeit ...
Durch den Vergleich mit professioneller Chromatographie "rehabilitierst" du quasi die Schnellmethode mit Bordmitteln. Ich werde mich ab sofort nicht mehr entschuldigen für meine Küchenkrepp-Leitungswasser-Huschwusch-Chromatogramme :lol:! Klar, präzise sind die nicht; aber einen ersten Eindruck kriegt man doch.

Wenngleich nicht immer:
mondindianer hat geschrieben:
21.12.2024 14:42
... schwarze Tinten sind fast immer undankbare Proben. ... Die Komplexität der Zusammensetzung kommt ... mit Wasser als Lösemittel nicht gut heraus. ...
Das gilt nicht nur für Schwarz. Gerade probiere ich rum mit grauen Tinten, und beim ersten Huschwusch-Chromatogramm hab' ich mir die Augen gerieben, es war vom "Wie-Sie-sehen-sehen-Sie-nichts"-Typ, sowas hatte ich bisher noch nie. Ich erinnere mich auch an Grüntinten (u.a. MB Irish Green, wenn ich nicht irre), bei denen das "Haushalts"-Verfahren mit Wasser nichts Brauchbares ergab.
mondindianer hat geschrieben:
21.12.2024 14:42
... Wird das Taschentuch-Chromatogramm zum Trocknen aufgehängt (und nicht hingelegt), dann läuft die Trennung im oberen Bereich noch etwas weiter. ...
Merci für den Tipp! Hat bei der bewussten Grauen tatsächlich noch eine Spur Blau ans Licht gebracht. (Zeige ich demnächst bei der Tintenvorstellung.)

Ich werde die Laien-Methode beibehalten, selbstbewusster als zuvor :). Ja, ihre Grenzen liegen auf der Hand. Aber für exaktere Ergebnisse müsste ich halt eigens Material etc. besorgen - da wäre der Aufwand dann größer als meine Neugierde ;)...
Vielen Dank, dass du Sinas Stups aufgenommen hast!
Schöne Grüße
Doris
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