Sütterlin - Fluch oder Segen ?

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scribifax
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Beitrag von scribifax »

Hallo Freunde der Fraktur,

hier eine Postkarte, die ich gekauft habe, weil auf der Rückseite unser altes Fachwerkhaus Bj. 1800 in Angermünde abgebildet ist.

Der Verkäufer hat die Karte übrigens als "mit kyrillischem Text" angeboten.

Da weis man nicht immer, ab man :lol: oder :cry: soll.

Bild

Allerdings doch auch recht stark "gekliert".

Grüße

HaJo
El Grande
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Beitrag von El Grande »

Was mir immer wieder schwehr fällt:
Wie soll ich Kurrent schreiben? Gleichmäßig, so wie von mir oben beschrieben (also unterschiedliche längen von Groß- & Kleinbuchstaben) oder doch ganz anders? Ich kann es zwar immer gut schreiben und lesen aber ich frage mich wie mann am besten an das historische orginal herrankommt. Soll ich einfach in den Proportionen der lateineischen Schreibschrift schreiben ?
Weiß des jemand?
lw7275
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Beitrag von lw7275 »

Hallo el Grande,
so, wie ich sie gelernt habe, wird die alte deutsche Schrift in den Proportionen der lateinischen Schreibschrift geschrieben. Das ergibt sich schon aus der parallelen Verwendung von Sütterlin- und lateinischer Schrift durch viele Leute, als die Sütterlin noch in Gebrauch war.
Allerdings weicht natürlich jeder Schreiber von den Normen ab, und das betrifft nicht nur die Proportionen, sondern auch die Verbindungen zwischen den Buchstaben.
Du kannst also nicht viel falsch machen, wenn Du die Buchstabenformen einübst und dann Deine persönliche Kurrent reifen lässt.
Grüße
Lars
lion
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Beitrag von lion »

Hallo El Grande,

ich kann lw7275 nur beipflichten, jeder Schreiber wird mit der Zeit seine eigene Variante der deutschen Schreibschrift entwickeln bzw. in Wortsinne aneignen. So schreibe ich seit einigen Jahren wieder regelmäßig mein Tagebuch in Offenbacher Schrift. Die sieht mittlerweile auch nicht mehr so aus wie im Lehrbuch. Bei mir spiegelt sich da vieles drin wieder, auch Tagesstimmung, Konzentration und nicht zuletzt der verwendete Füllhalter. Solange ich es richtig lesen kann - ein Tagebuch ist ja nicht so sehr auf Austausch mit anderen Lesern angelegt - will ich es zufrieden sein.

Gruß,
Sebastian
Es ist eine Dummheit, sich von hier fortzusehnen, die meisten Anstalten sind noch schlechter. György Konrád
nibby
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Beitrag von nibby »

Hallo zusammen,

"deutsche Schreibschrift" wurde bei mir in der Schule (NRW) in der dritten Klasse im Rahmen des Schönschreib-Unterrichts vermittelt. Das war 1975 auf Basis der Brause-Schönschreibhefte.

Erstaunlicherweise hatte ich für sie immer sehr gute Noten, während meine normale "lateinische Ausgangsschrift" auch bei größter Mühe immer nur im unteren Mittelfeld rangierte.

Im Nachhinein denke ich, daß es nicht an der Schrift sondern am (Zeitpunkt und Art des) Unterricht(s) lag, diese "fremde" Schrift wurde wesentlich systematischer geübt und auch viel genauer erklärt.

Beim Sport ist es mir ähnlich gegangen: Fußball na ja (kann doch jeder von selbst), Hürdenlauf prima. Auch das kam später und wurde (weil vermeintlich schwierig) systematischer trainiert.

Ich habe den Eindruck, daß wenn die Grundlagen stimmen der Rest viel einfacher ist und sich umgekehrt bei schlechter Grundlage nichts richtig entwickeln kann. Eigentlich müßte man nochmal neu anfangen.

Mit bestem Gruß

nibby

P.S.: Daß viele Menschen keine alte Schreibschrift mehr lesen können finde ich noch einigermaßen verständliche, daß dies inzwischen auch auf Fraktur-Drucktypen zutrifft finde ich eher erstaunlich. Ist es mangelnde Bereitschaft etwas Mühe in Kauf zu nehmen oder werden die Typen wirklich nicht erkannt?
math
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Beitrag von math »

Nur so am Rande und mit Klammer auf: "umnummerieren" in Sütterlin sieht einfach großartig aus :lol:

Klammer zu
Andreas
zargaya
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Beitrag von zargaya »

math hat geschrieben:"umnummerieren" in Sütterlin sieht einfach großartig aus
Hallo Andreas,

das Wort ist das beste Beispiel dafür, dass Sütterlin (um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen) eher ein Fluch, bzw. eine Designer-Schrulle ist. Die Schrift ist aus den immergleichen Elementen zusammengesetzt (Zacken, umgedrehte Schleifen etc.), was dazu führt, dass sie äußerst unleserlich ist - bei einer leicht zu lesenden Schrift sehen die einzelnen Buchstaben natürlich möglichst unterschiedlich aus.

Da hilft es wenig, dass es die spitzen Winkel von Sütterlin auch Grobmotorikern (wie mir) leicht machen, eine annehmbare Schrift zu simulieren - dann doch lieber eine lesbare Sauklaue.

Sütterlin abzuschaffen, war, denke ich, eine unvermeidliche schulpolitische Entscheidung (auch wenns die Nazis waren).

Grüße
Zarg
zargaya
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Beitrag von zargaya »

deutschkurrent hat geschrieben:Ach was.
Natürlich kann man auch Sütterlin lesen -- sonst wäre es ja keine Schrift.

Aber man kann andere Kurrentschriften (bei denen so unterschiedliche Buchstaben wie c, m, e, n, u, a, g usw nicht die gleichen Grundelemente aufweisen) eben deutlich besser lesen.
Grüße
Zargaya
math
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Beitrag von math »

Lesen ist m.E. reine Übungssache, so wie Steno, Griechisch, Hebräisch, Russisch, Sanskrit, ...

Ich habe Sütterlin im Studium gelernt. In der linearen Algebra wurden (vielleicht werden ja auch noch) Vektoren in Sütterlin geschrieben. Nach ein wenig Übung haben wir mal einen kompletten Übungszettel in Sütterlin abgegeben - den der Tutor dann auch in Sütterlin korrigiert hat. (Ihr seht: Mathe bildet :lol: )
werner
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Beitrag von werner »

zargaya hat geschrieben: ..... eher ein Fluch, bzw. eine Designer-Schrulle ist.
..... Sütterlin abzuschaffen, war, denke ich, eine unvermeidliche schulpolitische Entscheidung.
Hallo zusammen,

naja ganz der Ansicht bin ich nicht. Wenn diese Schrift nicht mehr vermittelt wird, wer will dann in einigen Jahren die alten Briefe der Großeltern oder auch Urgroßeltern noch lesen können. Ganz zu schweigen von den alten Geburtsregistern, Taufregistern und den alten Urkunden. Wenn die Nachfolgegeneration dazu einen Übersetzer braucht, dann
geht doch ohne die "Designer-Schrulle" viel Wissen und Kultur verloren. Ich gehöre noch der Generation an, die Sütterlin in der Schule gelernt hat und bin froh, außer den oben erwähnten amtlichen Schirftstücken auch noch in alten Lesebücher (Fibeln) ab und zu schmökern zu können.

Das sollten wir auch einmal überdenken, bevor wir vorschnell viel altes einfach abschaffen wollen.

Nichts für ungut und viele Grüße
Werner
absia
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Beitrag von absia »

Danke, Werner!

Peter
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Faith
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Re: Sütterlin - Fluch oder Segen ?

Beitrag von Faith »

Da neulich erst wieder ein Thema dazu aufgemacht wurde, möchte ich diesen alten Thread nochmal zum Leben erwecken (wie wir es mit den Schriften tun). ;)

Ich habe Sütterlin ebenfalls in der Schule gelernt, das muss um die 2000 Wende gewesen sein. Ob es speziell an meiner Lehrerin lag kann ich nicht sagen. (Gotisch, Keilschrift, Runen u. Ä. standen auch auf dem Programm. Bei ihr haben wir auch mit Bambusfeder, Federhalter und Bandzugfeder geschrieben, toll. :)).
Sütterlin und Kurrentschrift kann ich lesen, wenn es nicht gerade eine eher schwierige Handschrift ist. ;) Schreiben kann ich zur Zeit nur Sütterlin, möchte die Schrift flüssig mit allen Buchstaben lernen, dann geht es an die Kurrent.

Es ist leider wahr, dass die meisten Menschen meines Alters auch die Frakturschriften nicht mehr lesen können. Von den Schreibschriften mal ganz abzusehen.
Daher schreibe ich meistens für mich, oder werde nur verständnislos angeguckt.

"umnummerieren" sieht in der Tat nach einem Fluch aus. Da heißt es dann Haken zählen. :roll:

Und ja, Mathe beinhaltet ja viele altdeutsche oder griechische Zeichen (vielleicht sollten sie russische und chinesische ergänzen, damit sie sich nicht für was Anderes wiederholen müssen? :P). Leider verwechseln meine Ingenieurkollegen das altdeutsche "d" mit dem griechischen "nü" und so weiter... Traurig, aber wahr.
Viele Grüße
Faith

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Barbara HH
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Re: Sütterlin - Fluch oder Segen ?

Beitrag von Barbara HH »

Hallo Faith,
Faith hat geschrieben:Es ist leider wahr, dass die meisten Menschen meines Alters auch die Frakturschriften nicht mehr lesen können.
nicht nur in Deiner Generation. Ich habe auch Frakturschrift in der Schule gelernt (leider kein Sütterlin) und bin damit in meiner Generation der jetzt Mitte Vierzigjährigen schon krasse Aussenseiterin. Auch in der Generation der jetzt Sechzig-Siebzigjährigen ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Das war ja auch damals im Zusammenhang mit dem Skandal um die angeblichen Hitler-Tagebücher schon ziemlich klar herausgekommen. Der Fälscher Konrad Kujau hatte auf dem Umschlag der Tagebücher versehentlich die Initialen "FH" statt "AH" in Frakturschrift geschrieben weil er das "F" mit dem "A" verwechselt hatte - und der Stern hat das auch noch abgedruckt:

Bild

Was mir damals als Schülerin auf dem Weg zur Schule schon beim Vorbeigehen am Zeitungskiosk aus dem Augenwinkel aufgefallen ist ("Hä, wieso denn FH?") hat die ganze Stern-Redaktion plus Verlagsleitung nicht gemerkt Bild

Faith hat geschrieben:Leider verwechseln meine Ingenieurkollegen das altdeutsche "d" mit dem griechischen "nü" und so weiter... Traurig, aber wahr.
Mit dem nü (ν)? Kreisch! Das altdeutsche "d" sieht doch eher aus, wie ein handgeschriebenes theta (ϑ) :shock: ?

Viele nächtliche Grüße,

Barbara
„Ich denke tatsächlich mit der Feder, denn mein Kopf weiß oft nichts von dem, was meine Hand schreibt.“ Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen
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Faith
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Re: Sütterlin - Fluch oder Segen ?

Beitrag von Faith »

Hallo Barbara,

ich dachte auch gerade "da steht doch 'FH' drauf". Blöd muss man sein, aber von dem Skandal habe ich nichts mitbekommen. ;) Lese ich gerade das erste Mal von.

Tja, dass man theta und d verwechselt mag verziehen sein, aber mit dem nü verstehe ich auch nicht. Auf meinen Hinweis kam dann noch die Antwort: "Aber das ist doch das richtige Zeichen." :roll: Wobei das kleine theta ja auch unterschiedlich aussehen kann (θ oder ϑ).
Wo wir gerade dabei sind: Viele schreiben das κ wie ein χ, wurde früher wohl mal so gelehrt. Und als aus meinem w dann noch ein ω wurde, war ich doch etwas schockiert...

Na, ich korrigiere den Bericht mal weiter, sowas kann man doch nicht abgeben...

Viele Grüße Faith
Viele Grüße
Faith

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Barbara HH
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Re: Sütterlin - Fluch oder Segen ?

Beitrag von Barbara HH »

Faith hat geschrieben:Hallo Barbara,

ich dachte auch gerade "da steht doch 'FH' drauf". Blöd muss man sein, aber von dem Skandal habe ich nichts mitbekommen. ;) Lese ich gerade das erste Mal von.
Hallo Faith,

keine Schande, das war 1983 - da warst Du vermutlich noch sehr jung.

LG,

Barbara
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