Ich habe vor kurzem zwei italienische Patronenfüller aus den 50er Jahren erhalten, die mir vorher gänzlich unbekannt waren. Ich möchte sie hier im Folgenden vorstellen, verbunden mit einem Exkurs auf die Anfänge der Patronenfüller, wie ich sie sehe.
Ein Patronenfüller erhält seine Tinte aus einem kleineren, vorab gefüllten, verschlossenen Behältnis, dass nach Bedarf auswechselbar in den Füller eingesetzt wird. Das unterscheidet ihn von den Füllhaltern mit fest integriertem Tintenraum, der bei Bedarf aus einem größeren Behältnis neu befüllt wird.
Patronenfüller, die nicht nur als Idee existierten, sondern tatsächlich auf den Markt kamen, gab es schon früh in der Füllhaltergeschichte. Die Gründe waren unterschiedlich: der Eagle Pen aus den 1890ern sollte mit seinen Glaspatronen das mühselige Füllen der Eyedropper mit Pipetten beheben. Der John Hancock Pen aus den 1920er Jahren bot sich mit seinen Kupferblechpatronen als Alternative zu den Safety-Füllern der Zeit an. Die Glaspatronen der JiF-Waterman von 1935 wiederum sollten die chemisch anfälligen Tintenschläuche der Hebel- und Druckfüller ersetzen. Eine Randnotiz blieb der von Baignol & Co 1947 vorgestellte Tank 400: der Schaft selbst war eine riesige Acrylglas-Patrone, die auf das Griffstück geschraubt wurde.
Keines dieser Modelle konnte sich zu seiner Zeit behaupten, weil zeitgleich praktischere Alternativen entwickelt wurden oder sie schlicht nicht alltagstauglich waren. Die treibende Kraft dahinter war aber die Weiterentwicklung der Füllfederhalter, in Konkurrenz um Marktanteile der Anbieter untereinander.
Der Erfolg des Kugelschreibers Ende der 40er Jahre - obwohl längst noch nicht zu Ende entwickelt - setzte große wie kleinere Füllhalterhersteller unter existentiellen Druck. Ein Weg war, die neuartige Schreibkugel in herkömmliche Tintenfüller zu integrieren, um deren Vorteile zu behalten. Zum Problem wurde aber zunehmend die Diskrepanz zwischen den Produktionskosten von Füllern im Vergleich zu den immer billiger angebotenen Kugelschreibern. Weniger Teile, kostengünstig in Massenproduktion hergestellt, geringer Montageaufwand - das war nur mit neuen Konzepten, Produktionstechniken und Materialien möglich. So wurde Anfang bis Mitte der 50er Jahre der Patronenfüller noch einmal "erfunden". Dieses Mal allerdings ging es um die Konkurrenz zu einem anderen Schreibgeräte-System, dem Kugelschreiber - ein gravierender Unterschied.
Von 1951 bis 1954 wurden vier unterschiedliche Systeme fast gleichzeitig verfügbar - drei davon aus Italien.
Der LUS Atomica (~1952) und der Aurora DuoCart (~1954) verwenden je unterschiedliche Patronen aus neu entwickelten, weichen thermoplastischen Kunststoffen. Der Dritte im Bunde setzt auf ein komplexeres System, das dichter an der konventionellen Technik orientiert ist. Um diesen Füllhalter, den DP² von MPM, soll es im Folgenden gehen.
Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
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- mondindianer
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Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
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Das Modell DP² , hergestellt von Meccanica Precisione Meridionale S.p.A. aus Neapel, entwickelt und produziert von Dr. Alberto del Piero. Er hat Patente dafür in zahlreichen europäischen Ländern und in den USA erwirkt, das erste in Italien im Juli 1951.Der Füller selbst kann seine Vorbilder nicht verleugnen: die Steckkappe aus Metall mit dem Kunststoff-Deckelchen ("Jewel") auf der Oberseite, der Schaft mit dem abgerundeten Ende, die verdeckte Rundfeder á la Parker 51. Wie der Aurora 88 hat er zudem eine Modell-Prägung am Griffstück.
Der Füller wiegt 20 g mit Kappe, 12,2 g ohne. Er misst 128 mm in der Länge (ohne Kappe) und hat einen Durchmesser von 11 mm am Griffstück. Damit hören die Gemeinsamkeiten auf: am hinteren Ende des Griffstücks findet sich die Aufnahme für die Patronen - ein mächtiger Dorn mit seitlichen Öffnungen, umgeben von einer Metallhülse mit Sichtfenster. Der Ebonit-Tintenleiter hat sehr feine Finnen am oberen und am unteren Ende, er trägt die goldene Rundfeder mit feiner Spitze. Griffstück und Schaft sind im Spritzguss entstanden. Die Metallhülse der Patronenaufnahme trägt eine siebenstellige Seriennummer, 0012447 für das schwarze und 0025710 für das graue Modell. Beide Füller sind nach einfachen Reinigungsmaßnahmen tadellos - der Kunststoff ist nicht rissig oder geschrumpft, die Gewinde lassen sich sauber drehen, die Federn sind nicht korrodiert, die Tintenleiter sind in perfektem Zustand.
Das Besondere am DP² ist das Konzept der Befüllung mit Tinte. Es werden sieben Patronen und ein Reisetintenfass mit 50 ml Inhalt mitgeliefert.
Die Patronen aus glasklarem, festem Kunststoff (lt. Patent 963668 "Zelluloseacetat, Polystyrol etc.") werden eingesetzt, indem ein weicher Gummistopfen von dem Dorn durchbohrt wird. Der umgebende Gummi dichtet die Patrone zuverlässig ab. Diese Patronen sind also erstmals selbstdichtend, ein entscheidender Unterschied zu den früheren Entwicklungen. Am hinteren Ende ist eine kleine Gummikappe vorgesehen, mit der Pumpbewegungen ausgeführt werden können. Eine volle Patrone enthält ca. 1,5 ml Tinte, also fast das Doppelte einer heutigen Standardpatrone.
Es sind drei Möglichkeiten vorgesehen, den Füller mit Tinte zu versorgen: volle Patrone einsetzen ("normales Auftanken"), Nachfüllen der leeren Patrone aus dem patentierten Reisefass, sauber und sicher ("preiswertes Auftanken") und schließlich "für den Notfall" aus einem normalen Tintenfass. Die heute naheliegende Verwendung der Patrone als Konverter wird nirgendwo erwähnt - sie würde auch der Abgrenzung zu den bisherigen Füllern widersprechen.
Bezogen auf die Konkurrenz zum Kugelschreiber werden somit Aspekte bedient, die als besondere Vorteile von Kugelschreibern gelten:
- langes Schreiben: die Erstausstattung des Füllers mit sieben Patronen und dem Reisefass soll für 2 Jahre ausreichen;
- einfacher Patronen- bzw. Minenwechsel: durch die selbstdichtende Patrone geht der Wechsel auf sichere und saubere Weise vonstatten;
- einfaches Nachfüllen: das Reisetintenfass ist speziell für die Patronen des DP² entwickelt;
- kurze Feder: es ist zwar mehr Feder zu sehen als beim Parker 51, sie fügt sich aber harmonisch in die Linie des Griffstücks ein.
Letizia Iacopini gibt an, dass der DP² sicher ab 1953 erhältlich war. Ich konnte nicht herausfinden, wann die Produktion eingestellt wurde; die letzte Anzeige, die ich finden konnte, stammt von Dezember 1955. Überhaupt finden sich nur wenige Informationen über den Füller oder den Hersteller in den einschlägigen Büchern oder im Internet , z. B. etwas verstreut im italienischen Füllerforum.
Durchgesetzt haben sich bekanntlich die einfacheren Systeme wie bei Aurora und JiF-Waterman, die sich der neuesten Kunststoffe bedienten. Das senkte den Preis pro Patrone erheblich, später wurden auch die Füllhalter sehr viel einfacher konstruiert. Darin liegt sicher ein Grund für das auch heute noch oft anzutreffende 'Billig-Image' von Patronenfüllern - aber das ist eine separate Geschichte.
Ich denke, der DP² ist der 'connecting link' zwischen den klassischen Füllhaltern bis zu den 40er Jahren und den nachfolgenden Modellen der 50er und 60er Jahre.
- mondindianer
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Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Die Tinte zum Füller
Nach den verstrichenen ±70 Jahren sind alle ungenutzten Patronen ausgetrocknet, ebenso wie das Reisetintenfass. Ich hatte den Eindruck, dass meines nicht völlig geleert war, bevor es in Vergessenheit geriet. Also habe ich versuchsweise Octopus Ink Extender durch das Füllröhrchen gegeben. Der Bodensatz hat sich begierig darin gelöst. Nach mehrmaligem Schütteln, gefolgt von Ultraschall-Behandlung, war der Bodensatz nach zwei Tagen komplett gelöst. Ich habe eine Probe entnommen und durch ein Membranfilter gegeben. Der Ausstrich und die Kakimori-Schreibprobe fielen vielversprechend aus, der Farbton gefällt mir richtig gut:
Auf der Wearingeul Swatch-Karte erscheint die Tinte in einem matten blau-grau, aus der F-Feder des zugehörigen Füllers kommt sie aber eher auf ein kräftiges Blau-Schwarz (Fedrigoni Spendorgel Soho 80g/m²). Sie ist nicht vollständig löschbar, es bleibt ein grüner Farbton zurück (ersichtlich bei Fuchs und Hund. Das Chromatogramm zeigt verschiedene Blau- und Grau-Töne, die sich löschen lassen, sowie den verbleibenden Grünton.
Leider ist der Gummi bei meinen Original-Patronen vollständig verhärtet, sodass ich sie weder über die Gummikappe befüllen noch in den Füller einsetzen kann. Als Ersatz werden im italienischen Forum die langen Parker-Patronen vorgeschlagen (ausgerechnet!), es passen aber auch Lamy-Patronen über den Dorn. Und so kann ich meine DP² mit ihrer Originaltinte (na ja, fast) wieder in Betrieb nehmen. Füller wie Tinte sind absolut alltagstauglich:
Viele Grüße
Fritz
Fritz
Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Danke für diesen umfang- wie aufschlussreichen Artikel und die Jagdinstinkte weckenden Bilder! So macht das Forum wirklich Spaß. Mit seinem eindrucksvollen Dorn und den durchgestalteten Patronen sieht der Füller im Etui aus wie ein High-End-Spritzenbesteck…
- Andreas_Hannover
- Beiträge: 249
- Registriert: 10.03.2022 20:41
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Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Lieber Fritz,
mal wieder ein spannender Bericht, herzlichen Dank! Und viel Freude mit dem Füller!
mal wieder ein spannender Bericht, herzlichen Dank! Und viel Freude mit dem Füller!
- Edelweissine
- Beiträge: 2773
- Registriert: 08.01.2016 18:32
Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Klasse!
Ich liebe diese lehrreichen Ausflüge in die Vergangenheit! Die Zeichnungen und Fotos ermöglichen auch dem technischen Laien, Deinen Erklärungen gut folgen zu können.
Vielen Dank für Deinen tollen Beitrag, lieber Fritz!
Ich liebe diese lehrreichen Ausflüge in die Vergangenheit! Die Zeichnungen und Fotos ermöglichen auch dem technischen Laien, Deinen Erklärungen gut folgen zu können.
Vielen Dank für Deinen tollen Beitrag, lieber Fritz!
Gruß,
Heike
Heike
Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Dem Dank schließe ich mich unbedingt an. Ein höchst interessanter Beitrag zu einem tollen Schreibgerät.
Gruß
Knut
Knut
Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Hochinteressante und lehrreiche Darstellung! Vielen Dank für Deine Recherche und die Darstellung der Ergebnisse, die Du mit uns geteilt hast.
Gruß Jörg
Gruß Jörg
Re: Ein ziemlich unbekannter italienischer Patronenfüller
Hallo Fritz,
ein spannender und informativer Beitrag, herzlichen Dank.
Und nebenbei, die Tinte erinnert mich an die Pelikan 4001 Brillant-Blau, die ja genauso alt ist und bei der die Überprüfung der Löschbarkeit vergleichbar ausfällt.
ein spannender und informativer Beitrag, herzlichen Dank.
Und nebenbei, die Tinte erinnert mich an die Pelikan 4001 Brillant-Blau, die ja genauso alt ist und bei der die Überprüfung der Löschbarkeit vergleichbar ausfällt.
LG
Heinrich
Heinrich
