Hallo zusammen,
meine zweitneueste Errungenschaft ist ein alter Bleistift, und ich muss leider sagen, dass ich von einer (für mich) neuen Variante unseres gemeinsamen Virus befallen bin. Plötzlich fange ich an, mich für Minenstärken und die technischen Details von Dreh- und Druckbleistiften zu interessieren. Und schuld daran war ein Laden voller Füller! Viel zu viele Füller…
Es geschah am Dienstag dieser Woche, als ich mit einer Freundin fröstelnd durch Madrid zog. Auf dem seitlich offenen Deck des Touri-Busses hatten wir uns fast die Ohren abgefroren, und als wir direkt neben der Leuchtreklame einer Apotheke hielten, wusste ich auch warum: 14 Grad stand da. Passend zu den grauen Wolken und dem Regen. Soviel zum Thema des ewigen Sommers in Spanien, vierzehn Grad um vierzehn Uhr am 20. Mai! Also runter vom Deck und erstmal auf der Gran Vía einen Tee, und dann ab in die mollig-mufflige U-Bahn und zur Station Gregorio Marañon. Die Calle Zurbano liegt in einem Wohn- und Geschäftsviertel, entweder Chamberí oder Salamanca, ganz genau war das für mich nicht zu ermitteln, und in der Nummer 84 residiert sie -
Julia Gusano, der bekannteste Geheimtipp der Füller-Szene Spaniens.
Eine schön renovierte Klinkerfassade mit einem Tor zum ersten, dann einem Durchgang zum zweiten Innenhof, dann ein Schild, eine Klingel - und nichts. Es wurde noch ein zweiter Tee, aber irgendwann war sie da, eine freundliche Mutti ganz in schwarz hinter dem kleinen Tresen im völlig unübersichtlichen Halbdunkel eines Raumes, vollgestopft mit Zeugnissen alter Technik aller Art, von Uhren bis zu Auto-Nummernschildern, ein Schiffsscheinwerfer, ein Globus, Projektoren...
Und natürlich Füller! „Sehen Sie sich alles an, hier sind die Parker, da die Waterman, vorn in der Vitrine die Montblancs. Wie sagten Sie, Pelikan-Penexchange? Die Pelikans sind dort.“ Ich fühlte mich wie auf meiner ersten Pen-Show, als ich völlig hilflos vor der Masse stand und von den vielen Füllern auf den vielen Tabletts schier erschlagen wurde. Derweil sich Julia schon wieder ihrem Kunden widmete, der sein gutes Stück von der Reparatur abholte und natürlich erst mal testete.
„Neue Schreiber gibt es gar nicht bei mir! Reparaturen? Ach ja klar, hier kommen viele mit ihren kaputten Füllern, aber davon allein könnte ich nicht leben, das Geld bringen die Verkäufe.“ Ich glaubte es, als ich die Preisschilder las. Und meine Unsicherheit wuchs, 240 Euro, 400, 500 Euro, soviel wollte ich bestimmt nicht ausgeben, am Ende wäre es doch nur ein Souvenir aus Madrid. Und an die Kisten mit den Halbflüggen traute ich mich schon gar nicht ran…
Dann entdeckte ich das Tablett mit den Parker Duofold Drehbleistiften, und die orangefarbenen Stifte mit den altmodischen goldenen Kappen hatten es mir sofort angetan. Ich nahm ein paar in die Hand, verwarf den wieder, der mir am besten gefiel, weil er eine Namensgravur trug, und landete schließlich bei einem, meinem mit der winzigen Aufschrift „Duofold Jr., Geo S. Parker Pencil, Janesville Wisconsin, USA“. Er ist wohl aus den 1920er Jahren. Der Preis von 68 Euro auf dem Aufkleber wurde auf 60 reduziert, ohne dass ich fragte. Aha! Dann erfuhr ich noch, dass er Minen mit 1,18 Millimeter Durchmesser brauchte. Inzwischen weiß ich, dass sie nicht mehr sehr gängig sind, aber gleich am nächsten Tag bekam ich welche in einem Glasröhrchen mit echtem Korken in einem Laden in der Calle Mayor. In dem es ansonsten nur neue Schreibgeräte gab.
Ja und da ist es dann passiert, Sündenfall Nummer zwei, und jetzt besitze ich außer dem Parker noch einen Caran d’Ache Ecridor Chevron Druckbleistift. Oh je, wo soll das nur enden?
Übrigens: In meinem Dorf an der Küste sind immer noch 25 Grad und Sonne
Grüßle,
Wilfried